Brustkrebsrisiko unter HRT: Was Studien wirklich zeigen
von Dr. Christine Lohr
Absolute und relative Risiken verständlich erklärt – mit aktueller Evidenz zu modernen Präparaten, Gestagenen und der Bedeutung von Lebensstilfaktoren.
Warum dieses Thema präzise Kommunikation benötigt
Kaum ein Thema wird so verzerrt dargestellt wie das Brustkrebsrisiko unter einer Hormonersatztherapie (HRT). Häufig wird mit großen relativen Zahlen gearbeitet, ohne die absolute Größenordnung zu nennen. Das verzerrt die Wahrnehmung und verunsichert Frauen, die eine fundierte Entscheidung treffen möchten. Für eine korrekte Einordnung müssen relative und absolute Risiken gemeinsam betrachtet werden3.
Was die WHI tatsächlich gezeigt hat
Die Women’s Health Initiative (WHI) wird oft als zentrale Evidenz zitiert. Untersucht wurde eine Kombination aus oralen konjugierten Östrogenen und Medroxyprogesteronacetat (MPA)6. Diese Präparate entsprechen nicht den heutigen Standardtherapien, sind aber wichtig für die Risikoabschätzung.
In der kombinierten HRT-Gruppe traten etwa 38 Fälle pro 10000 Frauenjahre auf, in der Placebogruppe 30 Fälle pro 10000 Frauenjahre2. Das entspricht einem relativen Risiko von rund 1,26, also einer Erhöhung um 26 Prozent. Absolut bedeutet das 8 zusätzliche Fälle pro 10000 Frauenjahre.
Die oft zitierte Fünf-Jahres-Marke ist kein Schwellenwert. Das Risiko steigt graduell mit der Dauer der Einnahme und wird statistisch sichtbarer, je länger Frauen beobachtet werden3.
Was moderne Analysen zeigen
Aktuelle Meta-Analysen und Kohortendaten (Kohortendaten sind Informationen über eine Gruppe von Personen [eine Kohorte], die ein gemeinsames Merkmal oder Ereignis teilen) bestätigen grundsätzlich einen leicht erhöhten Brustkrebsanstieg unter kombinierter HRT, allerdings mit deutlichen Unterschieden zwischen Präparaten, Gestagenen und Applikationsformen3. Besonders relevant ist der Gestagen-Typ: Synthetische Progestine zeigen in vielen Analysen ein stärkeres Risikosignal als bioidente Optionen.
Zudem ist klar: Daten aus oralen konjugierten Östrogenen lassen sich nicht direkt auf transdermale Estradioltherapien übertragen, da Pharmakokinetik und Stoffwechselweg erheblich abweichen1.
Bioidente HRT: Was wir wissen und was noch offen ist
Bioidentes Estradiol in Kombination mit mikronisiertem Progesteron zeigt in mehreren Beobachtungsstudien ein günstigeres Risikoprofil als Kombinationen mit synthetischen Gestagenen. Die E3N-Kohorte* berichtet, dass mikronisiertes Progesteron in den ersten Jahren der Anwendung kein klares Brustkrebsrisiko-Signal zeigte5.
*Infobox: Was ist die E3N-Kohorte?
E3N ist eine große französische Langzeit-Kohortenstudie mit rund 100 000 Frauen. Sie liefert detaillierte Daten zu verschiedenen HRT-Formen und zeigt, dass mikronisiertes Progesteron ein günstigeres Brustkrebsrisiko-Profil haben kann als viele synthetische Gestagene. Aufgrund der Datenmenge, Detailtiefe und Langzeitbeobachtung gilt E3N als eine der wichtigsten Quellen zur Bewertung moderner HRT.
Auch aktuelle Reviews betonen den potenziell geringeren Einfluss auf das Brustgewebe, weisen aber gleichzeitig darauf hin, dass Langzeitdaten begrenzt sind und vorsichtig interpretiert werden sollten7.
Neuere Übersichten4 ergänzen: Das Risikoprofil bioidenter HRT ist wahrscheinlich moderater als bei älteren Präparaten, aber nicht risikofrei. Der Gestagen-Typ bleibt ein entscheidender Faktor.
Lebensstil beeinflusst das Brustkrebsrisiko stärker als viele denken
In der öffentlichen Diskussion wird häufig ausgelassen, dass Lebensstilfaktoren einen erheblich stärkeren Einfluss auf das Brustkrebsrisiko haben als typische HRT-Dosierungen. Dazu zählen:
- erhöhte Körperfettmasse, insbesondere viszeral**
- regelmäßiger Alkoholkonsum
- geringe körperliche Aktivität
- Brustdichte
- metabolische Risikokonstellationen**
**Infobox: Was bedeutet „metabolische Risikokonstellation“?
Es beschreibt eine Kombination aus mehreren ungünstigen Stoffwechselparametern. Dazu gehören vor allem:
- erhöhte Körperfettmasse, insbesondere viszerales Fett
(Fett im Bauchraum wirkt hormonell aktiv und fördert chronische Entzündungsprozesse.) - Insulinresistenz oder gestörter Glukosestoffwechsel
(z. B. erhöhte Nüchternglukose oder HOMA-Index.) - ungünstige Blutfette
(erhöhtes LDL oder Triglyzeride, niedriges HDL.) - erhöhter Blutdruck
(auch leicht erhöhte Werte zählen.) - erhöhte Entzündungsmarker
(z. B. CRP, besonders hsCRP.)
Diese Faktoren verstärken sich gegenseitig. Sie hängen eng mit Ernährung, Bewegungsverhalten, Körperfettverteilung und hormonellen Veränderungen zusammen, besonders in der Lebensmitte.
Interventionen wie intensives Krafttraining, ausreichende Proteinzufuhr, Gewichtsmanagement und Reduktion von Alkohol senken das Risiko auf mehreren biologischen Pfaden4.
Fazit
HRT kann das Brustkrebsrisiko leicht erhöhen, je nach Präparat, Dauer und Gestagen-Typ. Absolut bleibt der Anstieg klein, aber relevant. Moderne HRT unterscheidet sich deutlich von den WHI-Präparaten, insbesondere durch transdermales Estradiol und mikronisiertes Progesteron. Frauen profitieren von einer fundierten, datenbasierten Einordnung, die relative und absolute Risiken verständlich macht und ihren individuellen Kontext berücksichtigt.
Dieser Artikel ist frei zugänglich, denn evidenzbasierte Aufklärung für Frauen ist heute wichtiger denn je.
Quellen:
- British Menopause Society. Risks and Benefits of HRT: A Consensus Statement. London: British Menopause Society; 2023 [updated September 2025; accessed 2025 Nov 23].
- Chlebowski RT, Anderson GL, Gass M, Lane DS, Aragaki AK, Kuller LH, Manson JE, Stefanick ML, Ockene J, Sarto GE, et al. Estrogen plus progestin and breast cancer incidence and mortality in postmenopausal women. JAMA: The Journal of the American Medical Association. 2010;304(15):1684–1692. eng. doi:10.1001/jama.2010.1500.
- Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer. Type and timing of menopausal hormone therapy and breast cancer risk: individual participant meta-analysis of the worldwide epidemiological evidence. The Lancet. 2019;394(10204):1159–1168. eng. doi:10.1016/S0140-6736(19)31709-X.
- Foschi M, Groccia G, Rusce ML, Medaglia C, Aio C, Sponzilli A, Setti V, Battipaglia C, Genazzani AD. Estradiol and Micronized Progesterone: A Narrative Review About Their Use as Hormone Replacement Therapy. Journal of Clinical Medicine. 2025;14(20). eng. doi:10.3390/jcm14207328.
- Fournier A, Berrino F, Riboli E, Avenel V, Clavel-Chapelon F. Breast cancer risk in relation to different types of hormone replacement therapy in the E3N-EPIC cohort. Int J Cancer. 2005;114(3):448–454. eng. doi:10.1002/ijc.20710.
- Rossouw JE, Anderson GL, Prentice RL, LaCroix AZ, Kooperberg C, Stefanick ML, Jackson RD, Beresford SAA, Howard BV, Johnson KC, et al. Risks and benefits of estrogen plus progestin in healthy postmenopausal women: principal results From the Women’s Health Initiative randomized controlled trial. JAMA. 2002;288(3):321–333. eng. doi:10.1001/jama.288.3.321.
- Stute P, Wildt L, Neulen J. The impact of micronized progesterone on breast cancer risk: a systematic review. Climacteric. 2018;21(2):111–122. eng. doi:10.1080/13697137.2017.1421925.
