Frauen in der Herz-Kreislauf-Forschung: Doppelt benachteiligt ab der Lebensmitte

Sep. 25, 2025 | FemSportsHealth

von Dr. Christine Lohr

Eine aktuelle Analyse zeigt, wie Sponsoren, Studiendesign und Alter systematisch die Evidenz verzerren.

Trotz großer Fortschritte in der Medizin bleibt ein zentrales Problem bestehen: Frauen sind in der Herz-Kreislauf-Forschung nach wie vor nicht angemessen vertreten. Die Folge sind Datenlücken, die Prävention und Behandlung einschränken. Besonders kritisch ist dies ab der Lebensmitte, wenn das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich steigt.

Einleitung

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind weltweit die häufigste Todesursache – bei Frauen wie bei Männern. Dennoch sind Frauen in klinischen Studien seit Jahrzehnten unterrepräsentiert. Diese Schieflage ist nicht neu. Bereits Mitte der 1990er-Jahre wurde sie als Problem benannt. Drei Jahrzehnte später ist sie immer noch Realität1.

Neue Studiendaten

Eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit analysierte 1.079 kardiovaskuläre Studien, die zwischen 2017 und 2023 durchgeführt wurden.

Insgesamt waren knapp 1,4 Millionen Patientinnen und Patienten eingeschlossen, davon 41 % Frauen. Besonders gravierend ist die Unterrepräsentation bei Erkrankungen mit hoher Krankheitslast für Frauen: koronare Herzkrankheit (30,8 %; PPR 0,66), akutes Koronarsyndrom (22,1 %; PPR 0,71) und Schlaganfall (35,9 %; PPR 0,74)3.

Was bedeutet PPR?

Die Studie nutzt das Konzept der Participation to Prevalence Ratio (PPR). Es beschreibt, ob die Verteilung der Studienteilnehmenden die tatsächliche Krankheitsverteilung widerspiegelt. Ein PPR von 1 bedeutet angemessene Repräsentation. Werte unter 0,8 zeigen Unterrepräsentation, über 1,2 Überrepräsentation. Beispiel: Frauen stellen 43 % der Patientinnen und Patienten mit koronarer Herzkrankheit, in Studien lag ihr Anteil jedoch nur bei 30,8 % – ein PPR von 0,663.

Sponsoren und Interventionen

Besonders auffällig ist der Unterschied zwischen Sponsoren: Akademische Einrichtungen rekrutierten im Schnitt 50 % Frauen, industriegesponserte Studien nur 37 %. Auch der Interventionstyp beeinflusst die Rekrutierung. In Arzneimittelstudien lag der Frauenanteil bei lediglich 34 %, in Lebensstil-Interventionen dagegen bei 56 %3. Diese Unterschiede sind nicht nur methodisch relevant, sondern zeigen, wie stark strukturelle Rahmenbedingungen die Evidenz prägen.

Alter und Lebensmitte

Ein weiterer Befund betrifft das Alter. In Studien mit Teilnehmenden unter 55 Jahren lag der Frauenanteil noch bei 46,7 %. Über 65 Jahren sank er jedoch auf rund 32 %. Gerade ab der Lebensmitte steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich an, unter anderem durch die hormonellen Veränderungen in den Wechseljahren. Das bedeutet für Frauen in dieser Lebensphase eine doppelte Benachteiligung: höheres Risiko bei gleichzeitig fehlender Evidenz2,3

Fazit

Seit den 1990er-Jahren ist die Unterrepräsentation von Frauen in der Herz-Kreislauf-Forschung bekannt. Trotz regulatorischer Initiativen hat sich die Situation bis heute nicht grundlegend verändert. Die neuen Daten zeigen, dass Frauen gerade in der Lebensmitte und im höheren Alter doppelt benachteiligt sind: Sie tragen ein höheres Erkrankungsrisiko und gleichzeitig fehlen ihnen belastbare Studiendaten als Grundlage für eine evidenzbasierte Versorgung. Das ist alarmierend.

 

Quellen:

  1. Institute of Medicine (US) Committee on Ethical and Legal Issues Relating to the Inclusion of Women in Clinical Studies, Anna C. Mastroianni, Ruth Faden, Daniel Federman. NIH Revitalization Act of 1993 Public Law 103-43. In: Studies, Institute of Medicine Committee on Ethical and Legal Issues Relating to the Inclusion of Women in Clinical, Mastroianni AC, Faden R, Federman D, editors. Women and Health Research: Ethical and Legal Issues of Including Women in Clinical Studies: Volume I. [place unknown]: National Academies Press (US); 1994. en. https://​www.ncbi.nlm.nih.gov​/​books/​NBK236531/​.
  2. Mauvais-Jarvis F, Bairey Merz N, Barnes PJ, Brinton RD, Carrero J-J, DeMeo DL, Vries GJ de, Epperson CN, Govindan R, Klein SL, et al. Sex and gender: modifiers of health, disease, and medicine. Lancet. 2020;396(10250):565–582. eng. https://​pubmed.ncbi.nlm.nih.gov​/​32828189/​. doi:10.1016/S0140-6736(20)31561-0.
  3. Rivera FB, Magalong JV, Bantayan NRB, Tesoro N, Milan MJ, Purewal V, Pine PLS, Tsai C-M, Navar AM, Mulvagh SL, et al. Participation of Women in Cardiovascular Trials From 2017 to 2023: A Systematic Review. JAMA Netw Open. 2025;8(8):e2529104. eng. doi:10.1001/jamanetworkopen.2025.29104.