Gelenkschmerzen in den Wechseljahren. Ursachen, Mechanismen und fundierte Einordnung

Dez. 28, 2025 | FemSportsHealth

von Dr. Christine Lohr

Warum hormonelle Veränderungen Entzündung, Gewebequalität und Schmerzverarbeitung beeinflussen und was das für Training, Therapie und Alltag bedeutet

Gelenkschmerzen in den Wechseljahren betreffen viele Frauen und werfen häufig Fragen nach Ursache und Einordnung auf. Der Beitrag beleuchtet, wie hormonelle Veränderungen Entzündungsprozesse, Gewebequalität und Schmerzverarbeitung beeinflussen und warum eine rein strukturelle Betrachtung den Beschwerden oft nicht gerecht wird.

Gelenkschmerz und Hormone – wie hängt das zusammen?

Gelenkschmerzen gehören zu den häufigsten Beschwerden in den Wechseljahren. Viele Frauen berichten von neu auftretenden oder zunehmenden Schmerzen, ohne dass zuvor eine klare orthopädische Ursache bestand. In meiner Praxis begegnet mir dieses Thema täglich. Auffällig ist nicht nur die Häufigkeit, sondern auch die Unsicherheit in der Einordnung. Sind es Abnutzung, Arthrose oder schlicht das Älterwerden?

Die aktuelle Forschung zeichnet ein anderes Bild. Gelenkschmerzen in den Wechseljahren lassen sich nicht auf einen einzelnen Faktor reduzieren. Sie entstehen aus dem Zusammenspiel hormoneller Veränderungen, immunologischer Prozesse, struktureller Anpassungen im Bewegungsapparat und einer veränderten Schmerzverarbeitung3,5,9.

Östrogen und Entzündungsregulation

Östrogene wirken regulierend auf das Immunsystem. Sie beeinflussen die Aktivität entzündlicher Botenstoffe und stabilisieren immunologische Gleichgewichte. Mit dem Absinken des Estradiolspiegels in der Peri- und Postmenopause verschiebt sich diese Balance3,5.

Studien zeigen eine erhöhte Aktivität proinflammatorischer Zytokine wie Interleukin-6 und TNF-α* sowie eine geringere Hemmung zentraler Entzündungssignalwege2,6. Diese Veränderungen führen zu einer niedriggradigen systemischen Entzündungsaktivität, die im Kontext des Alterns häufig als inflammaging beschrieben wird2.

Für Gelenke ist das besonders relevant. Die Synovialmembran (Gelenkinnenhaut) reagiert sensibel auf Veränderungen im Zytokinmilieu**. Schon geringe entzündliche Verschiebungen können Schmerzen, Steifheit und Druckempfindlichkeit auslösen, auch ohne strukturelle Veränderungen im Gelenk5,6.

* Proinflammatorische Zytokine wie Interleukin-6 und TNF-α sind körpereigene Botenstoffe, die Entzündungsreaktionen verstärken und dem Immunsystem signalisieren, dass der Körper auf eine Belastung oder Schädigung reagieren muss.

** Dieses Milieu beeinflusst, ob Gewebe ruhig bleibt oder ob Entzündungsreaktionen leichter entstehen und Schmerzen begünstigt werden.

Bindegewebe, Faszien und extrazelluläre Matrix

Östrogene beeinflussen die Zusammensetzung und Belastbarkeit des Bindegewebes. Sie steuern die Kollagensynthese, die Elastizität von Kapseln und Faszien sowie die Wasserbindung in der extrazellulären Matrix*** 1,4.

Mit sinkendem Östrogenspiegel verändern sich diese Eigenschaften. Die Gewebe verlieren an Elastizität, reagieren empfindlicher auf mechanische Reize und passen sich langsamer an Belastung an1. Das betrifft Gelenkkapseln ebenso wie Sehnen und fasziale Strukturen.

Klinisch zeigen sich häufig diffuse Schmerzen, wechselnde Lokalisationen und eine ausgeprägte Morgensteifigkeit. Diese Symptome spiegeln keine Degeneration wider, sondern eine veränderte Gewebephysiologie mit anderen Anforderungen an Belastung und Regeneration1,9.

*** Die extrazelluläre Matrix ist das „Gerüst“ zwischen den Zellen. Sie gibt Geweben Halt, Elastizität und Struktur und sorgt dafür, dass Zellen miteinander kommunizieren und Belastungen gut abgefangen werden.

Knorpel, subchondraler Knochen und Muskulatur als funktionelle Einheit

Gelenke sind Teil eines funktionellen Systems aus Knorpel, Knochen und Muskulatur. Östrogene wirken knorpelschützend, indem sie die Synthese von Proteoglykanen fördern, die für eine ausreichende Stoßdämpfung und optimale Druckverteilung eine wesentliche Rolle spielen4,6.

Mit dem Wegfall dieser Wirkung nimmt die mechanische Belastbarkeit des Knorpels ab. Gleichzeitig beschleunigt sich der Knochenumbau im subchondralen Bereich, was die Kraftübertragung im Gelenk verändert3,6.

Parallel kommt es bei vielen Frauen zu einem Rückgang von Muskelmasse und Muskelkraft, sofern keine gezielten Trainingsreize gesetzt werden4,9. Die reduzierte muskuläre Stabilisierung erhöht die mechanische Belastung der Gelenke und kann Schmerzen begünstigen, auch ohne strukturelle Schäden.

Neurobiologische Schmerzverarbeitung

Östrogene modulieren die Schmerzverarbeitung im zentralen Nervensystem. Sie beeinflussen nozizeptive Schwellen****, die Aktivität schmerzhemmender Bahnen und die Interaktion zwischen Stress und Schmerz5,8.

Während der hormonellen Umstellung in den Wechseljahren nimmt diese Modulation ab. Die endogene Schmerzhemmung wird schwächer, während die Sensitivität für Schmerzreize steigt5,8. Schlafstörungen, Stress und Erschöpfung verstärken diese Effekte zusätzlich.

Schmerz wird dadurch real intensiver wahrgenommen. Diese Veränderung ist neurobiologisch erklärbar und kein Ausdruck psychischer Fehlverarbeitung8.

****Punkt, ab dem ein Reiz als Schmerz wahrgenommen wird

Was bedeutet das für die Praxis?

Gelenkschmerzen in den Wechseljahren sind kein isoliertes Gelenkproblem. Sie entstehen aus systemischen Anpassungsprozessen, die mehrere Gewebe und Regulationssysteme betreffen3,9.

Daraus lassen sich klare Prinzipien ableiten:

Bewegung unterstützt die Anpassung von Knorpel, Knochen und Bindegewebe6.
Krafttraining verbessert die Gelenkstabilität, reduziert entzündliche Aktivität und wirkt positiv auf die Schmerzverarbeitung4,9.
Regeneration beeinflusst Schmerz direkt über neurobiologische Mechanismen8.
Eine ausreichende Proteinzufuhr unterstützt Muskel- und Bindegewebsanpassungen4,7.
Schmerz benötigt eine differenzierte Einordnung, da er nicht automatisch Gewebeschaden bedeutet5,8.

Fazit

Gelenkschmerzen in den Wechseljahren sind Ausdruck hormonell gesteuerter Anpassungsprozesse. Wer sie allein als Verschleiß interpretiert, verkennt ihre Ursachen. Ein fundiertes Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen eröffnet dagegen konkrete therapeutische und präventive Handlungsspielräume.

Quellen:

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  2. Franceschi C, Campisi J. Chronic inflammation (inflammaging) and its potential contribution to age-associated diseases. The Journals of Gerontology Series A: Biological Sciences and Medical Sciences. 2014;69 Suppl 1:S4-9. eng. doi:10.1093/gerona/glu057.
  3. Gulati M, Dursun E, Vincent K, Watt FE. The influence of sex hormones on musculoskeletal pain and osteoarthritis. The Lancet Rheumatology. 2023;5(4):e225-e238. eng. doi:10.1016/S2665-9913(23)00060-7.
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