GLP-1 und Muskelverlust: Risiken, Reboundphase und Auswirkungen auf Herz und Knochen

Nov. 20, 2025 | FemSportsHealth

von Dr. Christine Lohr

Was Forschungsergebnisse über Muskelverlust, Reboundeffekte und die Bedeutung von Krafttraining in der GLP-1-Therapie zeigen.

Was passiert im Körper, wenn die Zahl auf der Waage deutlich sinkt? Aktuelle Untersuchungen machen sichtbar, dass nicht nur Fettmasse abnimmt, sondern auch Strukturen wie Muskulatur und Knochen beteiligt sind. In einzelnen Untersuchungen wurden zudem Veränderungen an der Herzmuskelstruktur beschrieben. Für Frauen in der Lebensmitte ist das aufgrund der natürlichen Veränderungen dieser Lebensphase besonders relevant.

GLP-1-Agonisten, die viele inzwischen unter dem Begriff Abnehmspritze kennen, sorgen derzeit für große Aufmerksamkeit, weil sie deutliche Gewichtsverluste ermöglichen. Die Diskussion konzentriert sich jedoch häufig auf die verlorenen Kilogramm und weniger auf die Frage, wie sich die Körperzusammensetzung dabei verändert. Studien zeigen, dass ein relevanter Anteil des Gewichtsverlustes nicht aus Fett, sondern aus fettfreier Masse (Magermasse) besteht1. Dazu gehören Skelettmuskel und Knochen. Einzelne Untersuchungen berichten darüber hinaus über Veränderungen an der Herzmuskelstruktur unter GLP-1-Agonisten. Dazu gehören unter anderem eine Verringerung der Masse der linken Herzkammer sowie experimentelle Befunde, die kleinere Herzmuskelzellen zeigen. Welche Bedeutung diese Veränderungen für Menschen ohne bestehende Herzerkrankung haben, ist derzeit noch nicht abschließend geklärt.

Diese Aspekte sind besonders relevant für Menschen mit geringer Muskelreserve3. Dazu zählen Frauen in der Lebensmitte, Personen mit chronischen Erkrankungen sowie Patientinnen und Patienten, die bereits mit reduzierter Muskelkraft in eine GLP-1-Therapie starten.

Infobox: Was sind GLP-1-Agonisten?

GLP-1-Agonisten sind Medikamente, die den natürlichen Darmhormon-Signalweg nachahmen und das Sättigungsgefühl verstärken.

Sie verlangsamen die Magenentleerung und senken den Blutzucker, weshalb sie ursprünglich zur Behandlung von Typ-2-Diabetes entwickelt wurden.

Bekannte Wirkstoffe

  • Liraglutid: tägliche Injektion. Seit 2015 auch zur Gewichtsreduktion zugelassen.
  • Semaglutid: wöchentliche Injektion. Stärkere Effekte auf das Körpergewicht als Liraglutid.
  • Tirzepatid: kombiniert die Wirkung von GLP-1 und GIP, einem zweiten Darmhormon. Zeigt in Studien noch größere Gewichtsverluste als Semaglutid.

Diese Medikamente beeinflussen nicht nur das Essverhalten, sondern auch den Stoffwechsel und die Körperzusammensetzung. Dadurch entstehen die im Beitrag diskutierten Veränderungen von Muskelmasse, Herzmuskelgewebe und Knochen4,6.

 

Muskelverlust durch GLP-1-Agonisten: Zahlen aus klinischen Studien

Daten aus Publikationen im Journal of the American Medical Association (JAMA) und aus Studien, die auf dem Kongress der europäischen Kardiologen (ESC) präsentiert wurden, zeigen, dass GLP-1-Agonisten nicht ausschließlich Fettmasse reduzieren. Der Gewichtsverlust umfasst jeweils auch einen Anteil fettfreier Masse.

Für Semaglutid wurde berichtet, dass etwa 39 Prozent des verlorenen Gewichts aus fettfreier Masse bestehen. Für Tirzepatid sind es etwa 25 Prozent. Demgegenüber liegt  der Anteil bei klassischen Lebensstilprogrammen mit Ernährung und Bewegung bei höchstens 25 Prozent. Eine Übersicht aus dem Jahr 2018 zeigt, dass eine höhere Proteinzufuhr den Verlust an fettfreier Masse reduzieren kann1,13.

Für Menschen mit niedriger Ausgangsmuskelmasse kann der zusätzliche Verlust an fettfreier Masse zu funktionellen Einschränkungen führen und das Risiko einer sarkopenischen Adipositas erhöhen.

Infobox: Was ist eine sarkopenische Adipositas?

Sarkopenische Adipositas bezeichnet die Kombination aus zu wenig Muskelmasse und gleichzeitig hohem Körperfettanteil. Dadurch verschlechtern sich Kraft, Stabilität und Stoffwechsel trotz eines oft normalen oder erhöhten Körpergewichts. Diese Konstellation erhöht das Risiko für Stürze, Einschränkungen im Alltag und Stoffwechsel Erkrankungen.

Auswirkungen auf Herzmuskel und Knochengewebe

Zur fettfreien Masse gehören nicht nur die Skelettmuskeln, sondern auch der Herzmuskel und das Knochengewebe. Eine experimentelle Untersuchung, veröffentlicht im Journal JACC Basic to Translational Science, zeigt, dass Semaglutid im Tiermodell und in Labortests an Herzmuskelzellen die Masse der linken Herzkammer und die Größe der Herzmuskelzellen verringern kann10.

Eine weitere klinische Untersuchung, die als Teil einer großen Herzstudie durchgeführt wurde, berichtet bei Menschen mit Herzschwäche über eine durchschnittliche Verringerung der Herzmuskelmasse um 11 Gramm innerhalb eines Jahres unter einer Tirzepatidtherapie. Die statistische Spannweite lag zwischen minus 19 Gramm und minus 4 Gramm, verglichen mit Placebo9.

Zur Einordnung: Der Verlust von Herzmuskelmasse ist bei anderen Abnehmstrategien nicht beschrieben. Die bisher publizierten Daten zu GLP-1-Agonisten sind deshalb ungewöhnlich und werden wissenschaftlich intensiv diskutiert.

Auch die Knochen können betroffen sein. Eine Interventionsstudie im Fachjournal JAMA Network Open untersuchte Frauen, die Liraglutid erhielten. Ohne begleitendes Training verringerte sich ihre Knochendichte an der Lendenwirbelsäule und der Hüfte stärker als in der Gruppe, die nur ein Bewegungsprogramm absolvierte. Erst die Kombination aus Medikament und Training stabilisierte die Knochendichte7.

Diese Ergebnisse sind für postmenopausale Frauen besonders relevant, da in dieser Lebensphase sowohl Muskelmasse als auch Knochendichte natürlicherweise abnehmen.

Gewichtszunahme nach Absetzen: ungünstige Fettverteilung und veränderte Muskelqualität

Eine Analyse in JAMA Network Open belegt, dass GLP-1-Therapien häufig vorzeitig abgesetzt werden. Die Absetzraten sind hoch und viele Patientinnen und Patienten setzen die Behandlung bereits nach wenigen Monaten ab3.

Eine Metaanalyse in BMC Medicine zeigt, dass der Reboundeffekt nach dem Absetzen einer GLP-1-Therapie ausgeprägter ist als nach anderen Strategien zur Gewichtsreduktion. Die erneute Gewichtszunahme besteht überwiegend aus Fettmasse14.

Ein Minireview im Journal of Nutrition, Health and Aging beschreibt, dass nach Beendigung einer Semaglutidtherapie die intramuskuläre Fettansammlung zunimmt. Zudem wurden Daten zur Liraglutidtherapie berichtet, nach denen der Gewichtsanstieg nach zwölf Monaten 6,3 kg Fett und 2,5 kg fettfreie Masse umfasst11.

Diese Konstellation verändert die Körperzusammensetzung ungünstig, weil zuvor Muskelmasse verloren geht und in der Reboundphase überwiegend Fett hinzukommt.

Infobox: Was ist die Reboundphase?

Die Reboundphase bezeichnet die Zeit nach dem Absetzen eines Medikaments, in der der Körper wieder an Gewicht zunimmt und dabei häufig mehr Fett einlagert als vor Beginn der Behandlung. Die Stoffwechselregulation ist in dieser Phase oft noch nicht stabil, sodass das Gewicht schneller und ungünstiger zurückkehrt. Bei GLP-1-Therapien wurde gezeigt, dass der Rebound ausgeprägter sein kann als bei anderen Abnehmmethoden.

Warum die Veränderungen für Frauen ab der Lebensmitte besonders relevant sind

Frauen zwischen Mitte 40 und Mitte 60 erleben eine Phase, in der sich hormonelle Veränderungen, Muskelabbau und Veränderungen der Knochendichte überlagern. Der altersbedingte Verlust an Muskelmasse beginnt bereits im vierten Lebensjahrzehnt und wird nach der Menopause schneller. Gleichzeitig sinkt die Knochendichte.

Eine 20-wöchige kontrollierte Studie untersuchte prämenopausale und postmenopausale Frauen und zeigte, dass beide Gruppen von regelmäßigem Krafttraining profitieren. Die Verbesserungen der Körperzusammensetzung traten bei Frauen vor und nach der Menopause auf, wobei die prämenopausale Gruppe in einigen Parametern stärker reagierte5. Eine aktuelle Metaanalyse zu Bewegungsprogrammen für postmenopausale Frauen zeigt ebenfalls, dass Training Muskelkraft, Körperzusammensetzung und Funktion positiv beeinflusst8.

Was bedeutet das für Frauen in hormonellen Übergangsphasen?

Vor diesem Hintergrund kann eine unbeaufsichtigte GLP-1-basierte Gewichtsreduktion in dieser Lebensphase die vorhandenen Reserven schneller reduzieren. Für Frauen in der Lebensmitte ist deshalb besonders wichtig, Therapie, Ernährung und Training strukturiert zu kombinieren.

Wie Training und Ernährung Muskel- und Knochenstruktur stabilisieren

Krafttraining und eine ausreichende Proteinzufuhr sind wichtige Bausteine für den Erhalt der Muskel- und Knochenstruktur. Eine 20-wöchige kontrollierte Studie zeigt, dass strukturiertes Krafttraining bei Frauen zwischen 40 und 60 Jahren zu Verbesserungen der Körperzusammensetzung und der Kraft führt. Die Autorinnen und Autoren berichten, dass Widerstandstraining die wechseljahresbedingten Veränderungen der Muskelmasse abmildert5.

Für die frühe Postmenopause zeigt eine Untersuchung in Frontiers in Physiology, dass zwölf Wochen Krafttraining die Muskelmasse erhöhen. Die Zunahme der Muskelmasse fiel in der Gruppe mit transdermaler Estrogentherapie stärker aus, was zeigt, dass hormonelle Veränderungen die Trainingsantwort beeinflussen können, während Krafttraining in allen Gruppen wirksam blieb2.

Eine systematische Übersichtsarbeit in den Archives of Gerontology and Geriatrics zeigt, dass Widerstandstraining mit unterschiedlichen Bewegungsgeschwindigkeiten die Knochendichte erhalten oder verbessern kann. Dieser Befund ist relevant, weil GLP-1-Medikationen ohne Training die Knochendichte reduzieren können12.

Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, GLP-1-Therapien grundsätzlich mit einem strukturierten Krafttrainingsprogramm und einer proteinreichen Ernährung zu kombinieren. Mechanische Belastung wirkt muskel- und knochenprotektiv, ausreichend Protein unterstützt den Erhalt der fettfreien Masse.

Zusammenfassung

GLP-1-Agonisten wie Liraglutid, Semaglutid und Tirzepatid führen zu deutlichen Gewichtsverlusten, beeinflussen jedoch auch die Körperzusammensetzung. Studien zeigen, dass ein relevanter Anteil des Gewichtsverlustes aus fettfreier Masse besteht. Dazu gehören Skelettmuskel, Herzmuskel und Knochengewebe. Einzelne Untersuchungen berichten von einer Verringerung der linksventrikulären Masse sowie von Veränderungen der Knochenstruktur, wenn keine begleitende Bewegung stattfindet.

Nach dem Absetzen kommt es häufig zu einer ausgeprägten Reboundphase mit überproportionaler Zunahme von Fettmasse und teilweise erhöhter Fettdurchsetzung der Muskulatur. Diese Entwicklungen können die körperliche Leistungsfähigkeit und den Stoffwechsel beeinflussen.

Frauen in der Lebensmitte stehen aufgrund hormoneller Veränderungen, natürlichem Muskelabbau und sinkender Knochendichte vor besonderen Herausforderungen. Gleichzeitig zeigt die Evidenz, dass Krafttraining und eine proteinorientierte Ernährung Muskel- und Knochenstruktur wirksam stabilisieren und negative Effekte abmildern können.

Fazit

GLP-1-Agonisten können die Gewichtsreduktion unterstützen, verändern aber gleichzeitig die Zusammensetzung von Muskel-, Herz- und Knochengewebe. Diese Effekte sind besonders relevant für Menschen mit geringer Muskelreserve und für Frauen in der Lebensmitte.

Ein sicherer und langfristig sinnvoller Einsatz gelingt vor allem dann, wenn die Therapie in ein strukturiertes Konzept aus Training, Ernährung und regelmäßiger Überprüfung der Körperzusammensetzung eingebettet wird. Mechanische Belastung und eine ausreichende Proteinzufuhr bleiben wichtige Bausteine, um Muskelkraft, Knochendichte und metabolische Gesundheit zu erhalten.

Quellen:

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  2. Dam TV, Dalgaard LB, Ringgaard S, Johansen FT, Bisgaard Bengtsen M, Mose M, Lauritsen KM, Ørtenblad N, Gravholt CH, Hansen M. Transdermal Estrogen Therapy Improves Gains in Skeletal Muscle Mass After 12 Weeks of Resistance Training in Early Postmenopausal Women. Frontiers in Physiology. 2020;11:596130. eng. doi:10.3389/fphys.2020.596130.
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