HRT und FDA: Neubewertung der Hormonersatztherapie 2025
von Dr. Christine Lohr
Aktuelle Evidenz führt zu einer Neubewertung der HRT und setzt wichtige Impulse für Europa und Deutschland.
HRT neu bewertet – was die aktuelle FDA-Entscheidung bedeutet
Ein Paradigmenwechsel mit Signalwirkung
Wir erleben derzeit einen Moment, auf den viele Expertinnen lange gewartet haben, denn die Food and Drug Administration (FDA) hat die Bewertung der hormonellen Therapie im Klimakterium grundlegend überarbeitet. Die FDA in den USA hat im November 2025 angekündigt, die bisherige Etikettierung zahlreicher Hormontherapien zu überarbeiten und die seit über 20 Jahren bestehenden Black-Box-Warnhinweise zu entfernen8. Diese Entscheidung ist mehr als eine regulatorische Anpassung. Sie markiert einen grundlegenden Perspektivwechsel darauf, wie die hormonelle Therapie in der Perimenopause und Menopause bewertet wird: weg von einer pauschalen Risikowarnung hin zu einer differenzierten, evidenzbasierten Betrachtung des individuellen Nutzen-Risiko-Verhältnisses9.
Die Neubewertung öffnet Raum für eine zeitgemäße, wissenschaftlich fundierte Versorgung, in der HRT wieder als mögliche Option für Frauen in der Lebensmitte angesehen wird5. Gleichzeitig verdeutlicht sie, wie wichtig es ist, Symptome, Lebensphase, gesundheitliche Risiken und Präventionsstrategien ganzheitlich miteinander zu verbinden2.
Rückblick: Wie es zur Black-Box-Warnung kam
Um die Tragweite der FDA-Entscheidung zu verstehen, lohnt sich ein kurzer Blick zurück. Anfang der 2000er Jahre hatte die Women’s Health Initiative (WHI) starke Verunsicherung ausgelöst. In ihren ersten Auswertungen wurden HRT und ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs, Herz-Kreislauf-Ereignisse und Schlaganfall in Verbindung gebracht3. Diese Daten führten 2003 zur Einführung der Black-Box-Warnung – der schärfsten Form regulatorischer Risikohinweise in den USA.
Die Folge war eine jahrzehntelange Zurückhaltung in der Verschreibung hormoneller Therapien. Millionen Frauen wurden verunsichert, viele Ärztinnen und Ärzte mieden die HRT vollständig. Erst in den letzten zehn Jahren zeigte sich immer klarer, dass die ursprünglichen WHI-Daten zu undifferenziert interpretiert worden waren6. Faktoren wie Zeitpunkt des Therapiebeginns, Alter, Gesundheitsstatus, Art der Präparate und Applikationswege spielten eine weitaus größere Rolle als damals angenommen.
Aktuelle Leitlinien zeigen, dass ein Beginn kurz nach der Menopause oder innerhalb von zehn Jahren nach letzter Blutung ein deutlich günstigeres Risiko-Nutzen-Profil aufweist2.
Was die FDA jetzt ändert: Die Kernpunkte der Entscheidung
Die FDA bezeichnete die bisherigen Warnhinweise als irreführend und nicht mehr zeitgemäß. Grundlage sind aktuelle Analysen, Metastudien und Real-World-Daten, die das Risiko vieler moderner HRT-Formulierungen präziser einordnen.
Die wichtigsten Veränderungen:
a) Entfernung der pauschalen Black-Box-Warnung
Für viele HRT-Produkte sollen die Black-Box-Hinweise vollständig gestrichen werden. Die FDA begründet dies damit, dass moderne Datenlage und differenzierte Anwendungsszenarien nicht mit pauschalen Risikowarnungen vereinbar sind8,9.
b) Stärkere Betonung des individuellen Kontextes
Risiken sind abhängig von:
- Zeitpunkt des Beginns
- Alter
- Applikationsweg
- Kombination von Östrogen und Gestagen
- individueller Gesundheitsgeschichte
Die FDA hebt hervor, dass eine Therapie innerhalb der ersten zehn Jahre nach Eintritt der Menopause die günstigsten Profile zeigt.
c) Anerkennung therapeutischer und präventiver Effekte
Die Neubewertung berücksichtigt zunehmend auch positive Effekte von HRT, etwa auf:
- Knochendichte
- metabolische Gesundheit
- vasomotorische Symptome
- urogenitale Beschwerden
- möglicherweise kognitive Gesundheit
- d) Fokus auf Shared Decision Making
Die neue Etikettierung soll Patientinnen und Ärztinnen ermöglichen, Entscheidungen auf Basis persönlicher Präferenzen, Symptome und Risiken zu treffen, anstatt aus Angst vor Warnhinweisen von vornherein auf HRT zu verzichten1,2.
Wissenschaftlicher Kontext: Warum diese Neubewertung sinnvoll ist
Die Neubewertung ist nicht willkürlich. Sie spiegelt den Stand der internationalen Evidenz wider. Über die letzten Jahre haben mehrere Forschungsstränge zur Neubewertung beigetragen:
a) Herz-Kreislauf-Gesundheit
Herz-Kreislauf-Erkrankungen nehmen nach der Menopause messbar zu. Die Abnahme des Östrogenspiegels spielt eine wichtige Rolle. Aktuelle Daten zeigen, dass eine frühzeitige HRT – besonders transdermal – Vorteile auf vaskuläre Funktion und metabolische Parameter haben kann4.
b) Muskel- und Knochengesundheit
Sarkopenie und Knochendichteverlust zählen zu den zentralen Risiken der Lebensmitte. Neue Studien bestätigen, dass HRT Muskelkraft, Muskelfunktion und Knochendichte positiv beeinflussen kann. Das gilt besonders dann, wenn sie in Kombination mit gezieltem Krafttraining eingesetzt wird7.
c) Globale gesundheitspolitische Relevanz
Mehrere Publikationen stufen die Menopause inzwischen als globale Gesundheitspriorität ein. Sie verweisen auf die gesundheitlichen und ökonomischen Folgen einer unzureichenden Versorgung in diesem Lebensabschnitt und auf die Bedeutung niedrigschwelliger, evidenzbasierter Therapien1.
d) Versorgungslage und Ungleichheiten
Die Verunsicherung durch die frühen WHI-Auswertungen führte dazu, dass viele Frauen keine Therapie erhielten, obwohl sie stark beeinträchtigt waren. Studien zeigen deutliche regionale und sozioökonomische Unterschiede in der HRT-Versorgung6.
Was folgt jetzt daraus: Bedeutung für Prävention, Bewegung und Frauengesundheit
Diese regulatorische Veränderung hat weitreichende Konsequenzen für Prävention, Gesundheitskommunikation und therapeutische Arbeit3,4,7.
a) Symptomorientierte Behandlung wird entstigmatisiert
Frauen, die unter Schlaflosigkeit, Hitzewallungen, Schmerzen, Stimmungsschwankungen oder urogenitalen Beschwerden leiden, stoßen künftig nicht mehr so schnell auf ärztliche Zurückhaltung.
b) Die Bedeutung des Zeitpunkts wird anerkannt
Deine Zielgruppe – Frauen ab Mitte 40 – befindet sich genau in dem Zeitraum, in dem eine HRT, falls indiziert, den größten Nutzen entfalten kann.
c) Bewegung und HRT ergeben eine sinnvolle Synergie
Die Studienlage zeigt:
- Krafttraining unterstützt die Wirkung von HRT auf Muskel und Knochen.
- HRT kann Trainingstoleranz und Regeneration verbessern.
- Ein aktiver Lebensstil moduliert metabolische Risiken, die teilweise hormonabhängig sind.
d) Ernährung gewinnt an Präzision
Ernährungsempfehlungen, die auf Proteinzufuhr, Muskelerhalt und entzündungsmodulierenden Effekten basieren, ergänzen die Wirkung einer möglichen HRT.
e) Stärkung der Aufklärung
Da viele Frauen weiterhin falsche oder veraltete Informationen erhalten, bleibt evidenzbasierte Aufklärung ein zentraler Baustein deiner Arbeit.
Fazit: Bedeutung der FDA-Entscheidung und Einordnung für Europa und Deutschland
Die Neubewertung der HRT durch die FDA markiert einen Wendepunkt in der internationalen Diskussion rund um das Klimakterium und der Frage, wie hormonelle Veränderungen in der Lebensmitte medizinisch eingeordnet und begleitet werden8. Sie zeigt deutlich, wie sehr sich die wissenschaftliche Evidenz in den vergangenen zwei Jahrzehnten weiterentwickelt hat und wie wichtig es ist, veraltete Warnhinweise durch differenzierte und aktuelle Informationen zu ersetzen3. Auch wenn diese Entscheidung zunächst nur die USA betrifft, wird sie weltweit wahrgenommen und beeinflusst zwangsläufig die Debatte in anderen Gesundheitssystemen.
Für Europa und Deutschland ergeben sich mehrere relevante Perspektiven. Zum einen wird die Frage nach der Aktualität der eigenen Leitlinien erneut an Bedeutung gewinnen. Europäische und internationale Fachgesellschaften betonen bereits seit längerem, dass der Zeitpunkt des Therapiebeginns, die Form der Anwendung und die individuelle Anamnese das Risiko-Nutzen-Profil klar beeinflussen2. Die FDA-Entscheidung verstärkt diesen Trend und setzt einen Impuls, regulatorische und klinische Empfehlungen regelmäßig an die aktuelle Evidenzlage anzupassen.
Zum anderen rückt die Bedeutung einer verlässlichen und verständlichen Aufklärung stärker in den Vordergrund. Viele Frauen in Deutschland berichten von widersprüchlichen Aussagen, Unsicherheiten und Zurückhaltung in der Beratung. Die Neubewertung in den USA macht sichtbar, dass hier strukturelle Verbesserungen möglich und notwendig sind6. Eine moderne evidenzbasierte Versorgung benötigt Zeit, qualifizierte Beratung und interdisziplinäre Ansätze, die Lebensstil, Prävention und medizinische Therapieoptionen miteinander verbinden.
Auch gesundheitspolitisch ist diese Entscheidung relevant. Die Wechseljahre umfassen eine Lebensphase, in der zentrale gesundheitliche Weichen gestellt werden. Themen wie Herz-Kreislauf-Gesundheit, metabolische Veränderungen, Muskel- und Knochendichte, Schlafqualität und psychische Gesundheit sind eng mit der hormonellen Umstellung verknüpft. Die FDA hebt erstmals hervor, dass HRT nicht nur symptomorientiert wirken kann, sondern im richtigen Setting auch präventive Bedeutung haben könnte1. Diese Perspektive wird zwangsläufig in europäische Diskussionen einfließen.
Insgesamt zeigt die Neubewertung, wie wichtig es ist, Frauen eine Versorgung zu ermöglichen, die dem aktuellen Stand der Forschung entspricht. Sie macht Mut, überholte Narrative zu hinterfragen und die Wechseljahre nicht als bislang wenig priorisierten Bereich, sondern als zentrale gesundheitliche Entwicklungsphase zu betrachten. Für Europa und Deutschland bedeutet das vor allem eines: aufmerksam prüfen, einordnen und die Versorgung so weiterentwickeln, dass Frauen in der Lebensmitte verlässlich Zugang zu moderner, individueller und evidenzbasierter Unterstützung erhalten.
Quellen:
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