Profitieren Frauen stärker von Sport?
von Dr. Christine Lohr
Eine aktuelle populationsbasierte Analyse zur Mortalität wirft neue Fragen an geschlechtsneutrale Bewegungsempfehlungen auf.
Was eine große Kohortenstudie zeigt und wie sie einzuordnen ist
Körperliche Aktivität zählt zu den wirksamsten präventiven Maßnahmen gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und vorzeitige Mortalität. Bewegungsempfehlungen werden jedoch bis heute überwiegend geschlechtsneutral formuliert. Implizit liegt dem die Annahme zugrunde, dass Frauen und Männer in vergleichbarer Weise von Bewegung profitieren.
Ob diese Annahme haltbar ist, wurde lange kaum systematisch geprüft. Erst in den vergangenen Jahren erlauben große Kohortenstudien mit geschlechtsspezifischer Auswertung, Unterschiede im präventiven Nutzen von Bewegung differenziert zu betrachten.
Die zentrale Evidenz: Bewegung und Mortalität getrennt nach Geschlecht
Die bislang belastbarste Untersuchung zu dieser Fragestellung analysierte Daten von über 400 000 Erwachsenen aus den USA und untersuchte den Zusammenhang zwischen Freizeitaktivität und Mortalität getrennt nach Geschlecht3.
Dabei zeigte sich ein konsistentes Muster: Über weite Bereiche der Aktivitätsdosis war die relative Reduktion der Gesamt- und kardiovaskulären Mortalität bei Frauen ausgeprägter als bei Männern. Entscheidend war weniger ein einzelner Schwellenwert als vielmehr der Verlauf der Dosis-Wirkungs-Beziehung. Die Daten deuteten zudem darauf hin, dass der Bereich mit dem größten zusätzlichen präventiven Nutzen bei Frauen tendenziell früher erreicht wurde, während Männer im Mittel höhere Aktivitätsumfänge benötigten, um vergleichbare relative Effekte zu erzielen.
Die Analyse wurde für relevante Einflussfaktoren wie Alter, Body-Mass-Index, Rauchstatus und Vorerkrankungen adjustiert. Es handelt sich damit um eine methodisch robuste epidemiologische Auswertung, auch wenn sie keine kausalen Mechanismen erklären kann3.
Warum solche Ergebnisse erst jetzt sichtbar werden
Dass geschlechtsspezifische Effekte von Bewegung erst spät systematisch untersucht wurden, ist kein Zufall. Frauen sind in der Sport- und Bewegungswissenschaft historisch deutlich unterrepräsentiert, sowohl in klinischen Studien als auch in trainingswissenschaftlicher Forschung1,2. Viele Präventions- und Bewegungsempfehlungen basieren daher auf Datensätzen, in denen männliche Teilnehmende dominieren.
Erst durch große Kohorten mit differenzierter statistischer Auswertung wird sichtbar, dass sich gesundheitliche Effekte von Bewegung zwischen den Geschlechtern unterscheiden können. Die Studie von Ji et al. fügt sich damit in eine breitere Diskussion um geschlechtssensible Medizin und Prävention ein4.
Was bedeutet „stärker profitieren“ und was nicht?
Eine präzise Einordnung ist wichtig.
„Stärker profitieren“ bedeutet keine Aussage über sportliche Leistungsfähigkeit, Trainingsintensität oder Belastbarkeit. Gemeint ist eine größere relative Reduktion harter klinischer Endpunkte, insbesondere der Gesamt- und kardiovaskulären Mortalität3.
Männer profitieren ebenfalls deutlich von Bewegung. Die Studie zeigt jedoch, dass der präventive Ertrag pro investierter Bewegungszeit bei Frauen im Mittel größer ausfällt. Gleichzeitig macht sie deutlich, was sie nicht leisten kann: Sie gibt keine Auskunft über optimale Trainingsformen, keine differenzierte Betrachtung nach Lebensphasen und keine kausalen Erklärungen.
Gerade Aspekte wie Perimenopause und Menopause werden in großen epidemiologischen Datensätzen bislang kaum differenziert erfasst. Diese Forschungslücke ist bekannt und wird zunehmend kritisch diskutiert5.
Bedeutung für Prävention und Gesundheitskommunikation
Für Prävention und Gesundheitskommunikation ist dieser Befund dennoch relevant. Er unterstützt eine zentrale, oft unterschätzte Botschaft: Regelmäßige Bewegung kann für Frauen bereits bei moderaten Umfängen einen messbaren gesundheitlichen Nutzen entfalten. Das ist speziell vor dem Hintergrund von Zeitknappheit, Care-Arbeit und mentaler Belastung von Bedeutung.
Gleichzeitig mahnt die Studie zur Differenzierung. Pauschale Aussagen oder verkürzte Social-Media-Narrative greifen zu kurz. Bewegung ist kein Allheilmittel, aber ein zentraler Schutzfaktor, dessen präventiver Wert für Frauen in großen Kohortenstudien klar sichtbar wird3.
Fazit
Eine große populationsbasierte Studie zeigt: Frauen erreichen bei vergleichbarem Bewegungsumfang im Mittel eine größere relative Reduktion von Gesamt- und kardiovaskulärer Mortalität als Männer. Dieser Befund ist kein Beweis für kausale Mechanismen, aber ein starkes Argument für geschlechtssensible Präventionsforschung und differenzierte Bewegungsempfehlungen.
Sport ist für Frauen kein optionaler Zusatz, sondern ein zentraler präventiver Faktor über die gesamte Lebensspanne hinweg, mit einem relevanten gesundheitlichen Nutzen3.
Quellen:
- Costello JT, Bieuzen F, Bleakley CM. Where are all the female participants in Sports and Exercise Medicine research? Eur J Sport Sci. 2014;14(8):847–851. eng. doi:10.1080/17461391.2014.911354.
- Cowan SM, Kemp JL, Ardern CL, Thornton JS, Rio EK, Bruder AM, Mosler AB, Patterson B, Haberfield M, Roughead EA, et al. Sport and exercise medicine/physiotherapy publishing has a gender/sex equity problem: we need action now! Br J Sports Med. 2023;57(7):401–407. eng. doi:10.1136/bjsports-2022-106055.
- Ji H, Gulati M, Huang TY, Kwan AC, Ouyang D, Ebinger JE, Casaletto K, Moreau KL, Skali H, Cheng S. Sex Differences in Association of Physical Activity With All-Cause and Cardiovascular Mortality. J Am Coll Cardiol. 2024;83(8):783–793. eng. doi:10.1016/j.jacc.2023.12.019.
- Mauvais-Jarvis F, Bairey Merz N, Barnes PJ, Brinton RD, Carrero J-J, DeMeo DL, Vries GJ de, Epperson CN, Govindan R, Klein SL, et al. Sex and gender: modifiers of health, disease, and medicine. Lancet. 2020;396(10250):565–582. eng. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32828189/. doi:10.1016/S0140-6736(20)31561-0.
- McNulty K, Olenick A, Moore S, Cowley E. Invisibility of female participants in midlife and beyond in sport and exercise science research: a call to action. Br J Sports Med. 2024;58(4):180–181. eng. doi:10.1136/bjsports-2023-107165.
