Stille Entzündung in der Lebensmitte – hsCRP, Hormone & Regulation verstehen

von Dr. Christine Lohr
Stille Entzündung erkennen, verstehen, beeinflussen: Ein evidenzbasierter Blick auf Regulation in hormonellen Übergangsphasen
Stille Entzündung in der Lebensmitte – was der Körper uns leise mitteilt
Chronisch-niedriggradige Entzündungen – auch als „silent inflammation“ oder „low-grade inflammation“ bezeichnet – rücken zunehmend in den Fokus medizinischer Forschung. Anders als akute Entzündungen verlaufen sie unterschwellig, symptomarm und systemisch. Und genau darin liegt ihre Herausforderung: Sie entwickeln sich über Zeit, bleiben lange unbemerkt – und stehen im Zusammenhang mit zahlreichen altersassoziierten Erkrankungen.
Ein aktueller Review belegt die Dynamik der Forschung: Zwischen 2005 und 2024 stieg die Zahl der Publikationen zum Thema inflammaging exponentiell an – mit Schwerpunkten auf Immunregulation, metabolischen Prozessen und hormonellen Einflüssen11. Insbesondere bei Frauen ab der Lebensmitte rückt die Frage in den Vordergrund, wie hormonelle Umstellungen das Entzündungsgeschehen beeinflussen – und welche Rolle Lebensstilfaktoren dabei spielen.
In diesem Beitrag geht es um die physiologischen Grundlagen stiller Entzündungen, deren Relevanz in der Lebensmitte – und um wissenschaftlich fundierte Ansätze zur Regulation im Alltag.
Entzündung verstehen – von der Immunreaktion zur chronischen Belastung
Entzündung ist eine biologische Schutzreaktion. Sie dient der Abwehr von Krankheitserregern, der Reparatur geschädigter Zellen und der Wiederherstellung funktioneller Gewebeintegrität. Akute Entzündungen verlaufen meist klar umrissen, lokal begrenzt und folgen einem typischen Ablauf: Aktivierung des Immunsystems, Mobilisierung entzündungsfördernder Zytokine, Einleitung von Heilungsprozessen – und anschließend deren Abschaltung.
Im Gegensatz dazu ist eine chronisch-niedriggradige Entzündung gekennzeichnet durch:
- eine dauerhaft geringe Aktivierung immunologischer Signalwege,
- eine systemische Verteilung ohne klaren Entzündungsherd,
- und eine fehlende Rückkehr zur Homöostase.
Diese Form der Entzündung entsteht nicht aus einer akuten Gefahr, sondern durch langanhaltende Belastungen – z. B. durch viszerales Fett, oxidativen Stress, Schlafmangel oder hormonelle Dysregulation. Sie aktiviert das angeborene Immunsystem subtil, aber konstant – mit der Folge, dass zelluläre Reparaturmechanismen verlangsamt werden, mitochondriale Funktionen sinken und das Risiko chronischer Erkrankungen steigt5,6.
Besonders kritisch: Die chronische Freisetzung von Zytokinen wie IL-6 und TNF-α verändert langfristig auch die Funktion von Gehirn, Muskulatur und Stoffwechsel. Das Konzept des inflammaging beschreibt diese altersassoziierte Entzündungslast – und wird inzwischen als zentrales Kennzeichen biologischen Alterns verstanden1.
Hormone, Immunmodulation und stille Entzündung
Der hormonelle Umbau in der Lebensmitte betrifft weit mehr als den Menstruationszyklus. Mit dem Rückgang von Östrogen verändert sich das immunologische Gleichgewicht des Körpers – und genau hier beginnt ein Prozess, der stille Entzündungen verstärken kann. Denn Östrogene wirken nicht nur auf das endokrine System, sondern greifen direkt in die Regulation des Immunsystems ein.
Östrogen als immunmodulierender Faktor
Östrogene beeinflussen die Aktivität verschiedener Immunzellen, darunter T-Lymphozyten, B-Zellen und antigenpräsentierende Zellen. Sie wirken regulierend auf entzündungsfördernde Zytokine wie Interleukin-6 (IL-6) und Tumornekrosefaktor alpha (TNF-α) und fördern gleichzeitig antientzündliche Signalwege20. Diese Effekte sind dosisabhängig und kontextsensitiv – sie hängen von Lebensphase, Gewebeumgebung und Hormonstatus ab.
Insbesondere der plötzliche Rückgang von Estradiol in der Perimenopause gilt als ein kritischer Kipppunkt: Studien zeigen, dass Frauen in der Übergangsphase eine erhöhte systemische Entzündungslast aufweisen, gemessen z. B. an hsCRP oder IL-614. Dieser immunologische Shift betrifft nicht nur den peripheren Organismus, sondern auch das zentrale Nervensystem.
Mikroglia, Gehirnstoffwechsel und Neuroinflammation
Im Gehirn wirkt Östrogen stabilisierend auf Mikrogliazellen – spezialisierte Immunzellen, die Veränderungen im neuronalen Milieu erkennen und bei Bedarf entzündungsfördernde Substanzen freisetzen. Wenn diese Zellen dauerhaft aktiviert bleiben – etwa infolge hormoneller Umstellung, chronischem Stress oder systemischer Entzündung – kann dies kognitive Funktionen beeinträchtigen und die Regeneration im Gehirn erschweren13.
Zudem beeinflusst Östrogen direkt den Energiestoffwechsel des Gehirns: Sinkt der Östrogenspiegel, reduziert sich die Glukoseaufnahme im frontalen Kortex und Hippocampus – Regionen, die für Gedächtnis und Konzentration besonders relevant sind13. Entzündliche Reize können diese Effekte verstärken und stehen im Zusammenhang mit Symptomen wie mentaler Erschöpfung, Konzentrationsproblemen oder dem sogenannten „Brain Fog“.
Wechselwirkungen mit Stress und Cortisol
Die hormonelle Umstellung betrifft auch die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse – also das neuroendokrine System, das die Ausschüttung von Cortisol steuert. Dieses Stresshormon wirkt in akuten Phasen kurzfristig entzündungshemmend. Wird es jedoch dauerhaft erhöht ausgeschüttet – etwa bei chronischem psychosozialem Stress –, verliert es seine regulierende Wirkung und kann stattdessen immunologische Dysregulationen fördern.
Diese Entwicklung zeigt sich besonders deutlich in der Lebensmitte, wenn andere Schutzfaktoren – wie Östrogen – bereits reduziert sind. Die Folge: Entzündungsprozesse können leichter entstehen oder bestehen bleiben, Reparaturvorgänge verlangsamen sich, Schlaf wird gestört, der Stoffwechsel verändert sich.
Zentrale Befunde hierzu liefert die sozial-neurobiologische Stressforschung: Sie beschreibt, wie chronischer psychosozialer Stress über eine sogenannte social signal transduction entzündungsfördernde Signalwege aktiviert – ein Mechanismus, der insbesondere bei Frauen in der hormonellen Umbruchphase relevant sein kann18.
Ursachen und Verstärker: Wie stille Entzündungen entstehen
Stille Entzündungen entwickeln sich nicht über Nacht – und selten aus einem einzigen Auslöser. Vielmehr ist es das Zusammenspiel mehrerer, oft subtiler Faktoren, das zu einer anhaltenden Aktivierung des Immunsystems führt. In der Lebensmitte wird dieser Prozess zusätzlich verstärkt durch hormonelle Umstellungen, Veränderungen der Körperzusammensetzung und zunehmende Belastungen im Alltag.
Viszerales Fett als entzündungsaktives Gewebe
Einer der zentralen Verstärker stiller Entzündungen ist viszerales Fettgewebe – also Fett, das sich im Bauchraum rund um innere Organe ansammelt. Dieses Gewebe ist kein passiver Energiespeicher, sondern ein aktives endokrines Organ: Es produziert sogenannte Adipokine, darunter Leptin, Resistin und TNF-α, die direkt in entzündliche Prozesse eingreifen.
Bereits bei normalem Körpergewicht kann ein Anstieg des viszeralen Fetts in der Perimenopause beobachtet werden7. Dieser Effekt tritt unabhängig von der Kalorienaufnahme auf und wird unter anderem durch den Östrogenrückgang begünstigt. Das Risiko für eine stille Entzündung steigt dadurch auch bei Frauen ohne klassisches Übergewicht.
Schlafmangel und zirkadiane Dysregulation
Gestörter oder fragmentierter Schlaf zählt zu den unterschätzten, aber klinisch gut belegten Risikofaktoren für systemische Entzündungsaktivität. Bereits eine einzige Nacht mit reduziertem Tiefschlaf kann die Konzentration proinflammatorischer Zytokine wie IL-6 erhöhen9.
Die Lebensmitte ist zudem häufig durch Veränderungen im Schlafverhalten gekennzeichnet – unter anderem infolge hormoneller Verschiebungen, Stressbelastung oder nächtlicher Hitzewallungen. Der Körper gerät dadurch leichter in einen Zustand anhaltender physiologischer Alarmbereitschaft – mit entzündlichem Potenzial.
Chronischer Stress
Dauerhafter psychischer Stress aktiviert die HPA-Achse (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse) und führt zu anhaltend erhöhten Cortisolwerten. Wie bereits im vorherigen Abschnitt beschrieben, verliert Cortisol unter chronischer Belastung seine entzündungshemmende Wirkung und trägt stattdessen zur Dysregulation des Immunsystems bei. Dies kann eine stille Entzündung begünstigen oder aufrechterhalten – insbesondere bei fehlender Erholung oder fehlendem sozialem Puffer18.
Ernährung und Mikrobiom
Ein weiterer zentraler Faktor ist das Mikrobiom. Studien zeigen, dass eine ballaststoffarme, stark verarbeitete Ernährung mit hoher Zuckerdichte die Zusammensetzung der Darmflora verändert – zugunsten entzündungsfördernder Bakterien. In der Folge kann es zu einer erhöhten Permeabilität der Darmwand („leaky gut“) kommen. Endotoxine gelangen vermehrt in den Blutkreislauf, das Immunsystem wird aktiviert4.
Darüber hinaus begünstigt eine Dysbiose auch systemischen oxidativen Stress – eine wichtige Schnittstelle zwischen metabolischer Dysfunktion, neuroinflammatorischen Veränderungen und hormoneller Instabilität.
Umweltfaktoren
Oxidativer Stress entsteht nicht nur endogen, sondern auch durch externe Einflüsse. Zu den wichtigsten gehören:
- Luftverschmutzung (Feinstaub, Stickoxide)
- Schwermetalle (z. B. Quecksilber, Blei)
- Pestizide und Weichmacher (z. B. BPA)
- UV-Strahlung
- hormonaktive Substanzen aus Kosmetika oder Verpackungen
Diese Faktoren wirken besonders dann entzündungsfördernd, wenn antioxidative Schutzsysteme – etwa Glutathion, Superoxiddismutase (SOD, ein enzymatischer Radikalfänger) oder Coenzym Q10 – durch Alter, Ernährung oder Erkrankung geschwächt sind [5] Calder et al.
Zusammenfassend lässt sich sagen:
Stille Entzündung entsteht dort, wo Regulation nicht mehr ausreicht, um Reize zu kompensieren. Die Lebensmitte ist eine Phase erhöhter Vulnerabilität – nicht aufgrund einzelner Schwächen, sondern aufgrund der komplexen Übergänge, die hormonell, metabolisch und immunologisch gleichzeitig ablaufen.
Symptome und betroffene Systeme: Wie sich stille Entzündungen in der Lebensmitte zeigen können
Stille Entzündungen äußern sich selten in Form eindeutiger Symptome. Stattdessen entwickeln sich über Wochen oder Monate diffuse Beschwerden, die oft als „altersbedingt“, „stressbedingt“ oder „unspezifisch“ abgetan werden. Gerade in der Lebensmitte ist es wichtig, genauer hinzusehen – denn hormonelle Umstellungen, immunologische Veränderungen und eine reduzierte Resilienz der Gewebe können in Kombination zu funktionellen Beeinträchtigungen führen.
Gehirn & zentrales Nervensystem
Im Nervensystem wird stille Entzündung vor allem durch dauerhaft aktivierte Mikrogliazellen vermittelt – also durch die Immunzellen des Gehirns. Diese reagieren auf hormonelle Veränderungen, systemische Entzündungsreize oder chronischen Stress. Ihre Aktivität ist direkt verknüpft mit neurokognitiven Prozessen wie Aufmerksamkeit, Konzentration und emotionaler Regulation19.
Sinkt der Östrogenspiegel – wie in der Perimenopause –, verändert sich der Energiehaushalt des Gehirns. Die Glukoseaufnahme sinkt, während die Entzündungsbereitschaft steigt. Studien zeigen: Frauen in der Menopause weisen häufig eine reduzierte metabolische Aktivität im Hippocampus auf – einer Region, die zentral für Gedächtnisprozesse ist15.
Typische Symptome:
- Konzentrationsstörungen
- mentale Erschöpfung
- Reizbarkeit
- „Brain Fog“-Zustände
Stoffwechsel & Körpergewicht
Chronisch-niedriggradige Entzündungen stören die Insulinsensitivität und modulieren das Hunger- und Sättigungssystem. Über Zytokine wie IL-6 oder TNF-α wird die zelluläre Glukoseverwertung beeinträchtigt – mit der Folge, dass der Körper schneller Fett einlagert, insbesondere im Bauchraum8.
Typische Beobachtungen:
- Gewichtszunahme trotz Bewegung
- Heißhungerattacken
- erhöhte Nüchterninsulinwerte
- verlängerte Regenerationsphasen nach Belastung
Muskeln, Gelenke & Bewegungsapparat
Auch das Muskelgewebe reagiert auf stille Entzündung – über eine gestörte Muskelproteinsynthese, eine erhöhte Grundspannung und verlängerte Erholungsphasen. Gerade in der Postmenopause ist dies relevant: Der Verlust an Muskelmasse (Sarkopenie) kann durch entzündliche Prozesse verstärkt werden2.
Typische Symptome:
- diffuse Gelenk- oder Muskelschmerzen
- erhöhte Muskelspannung
- verlängerte Regenerationszeit
- reduzierte Trainingsanpassung
Darm & Immunbarriere
Ein großer Teil des Immunsystems befindet sich im Darm. Eine gestörte Barrierefunktion – etwa infolge von Dysbiose, Stress oder ballaststoffarmer Ernährung – kann zu lokaler und systemischer Entzündung führen. Endotoxine aus dem Darmmilieu gelangen in den Blutkreislauf und aktivieren das angeborene Immunsystem4.
Typische Symptome:
- Blähungen
- Unverträglichkeiten
- Reizdarmsymptomatik
- unklare Bauchbeschwerden trotz unauffälliger Diagnostik
Fazit dieses Abschnitts:
Stille Entzündungen äußern sich nicht laut – aber vielschichtig. Sie können neurokognitive, metabolische, muskuläre und gastrointestinale Prozesse beeinträchtigen. Der Blick auf das Zusammenspiel verschiedener Körpersysteme hilft, diffuse Beschwerden in der Lebensmitte differenzierter einzuordnen – und fundierte Ansätze zur Regulation zu wählen.
Maßnahmen zur Regulation – was hilft gegen stille Entzündung in der Lebensmitte?
Stille Entzündung lässt sich nicht mit einer einzelnen Maßnahme „ausschalten“. Aber sie lässt sich beeinflussen – und zwar über die Summe kleiner, gezielter Interventionen, die auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Der Körper reagiert besonders in der Lebensmitte sensibel auf Reize, aber auch auf Regulation. Entscheidend ist nicht ein starres Programm, sondern ein Verständnis für die biologischen Mechanismen – und für das, was sie dämpft oder verstärkt.
Ernährung: modulierend statt dogmatisch
Die Ernährung beeinflusst Entzündungsprozesse unmittelbar – über Mikronährstoffe, Fettsäuren, das Mikrobiom und den Blutzuckerspiegel. Ziel ist keine spezielle „Entzündungsdiät“, sondern ein nährstoffreiches, stoffwechselstabiles Ernährungsmuster.
Belegt hilfreich sind:
- Omega-3-Fettsäuren (EPA/DHA) aus fettem Fisch oder Algenöl – reduzieren CRP, IL-6 und TNF-α3
- Polyphenole (z. B. aus Beeren, Olivenöl, grünem Tee) – antioxidativ und immunmodulierend
- Ballaststoffe & Präbiotika – fördern eine darmfreundliche Mikrobiota
- Proteinreiche Kost – schützt Muskelmasse, stabilisiert den Blutzucker, reduziert Heißhunger
Was reduziert werden sollte: Zucker, raffinierte Kohlenhydrate, Alkohol, hochverarbeitete Fette. Nicht aus Verzicht, sondern zur Reduktion entzündlicher Stoffwechselprodukte (z. B. AGEs, Endotoxine).
Bewegung: gezielte Reize setzen – nicht erschöpfen
Bewegung wirkt immunmodulierend – aber nicht jede Form gleich. Entscheidend ist die Reizdosis, die Art der Belastung und die anschließende Regeneration. Chronisch zu viel (z. B. tägliches, intensives Ausdauertraining ohne Erholung) kann Entzündungsprozesse verstärken. Gezielt gesetzte Reize hingegen wirken regulierend.
Empfehlenswert sind:
- Intensives Krafttraining (2–3×/Woche), idealerweise mit komplexen Grundübungen
- Sprintintervalle oder HIIT-Einheiten (kurz, hochintensiv)
- Regelmäßige Alltagsbewegung (Gehen, Radfahren, Stehen statt Sitzen)
- Bewegung in der Natur – senkt nachweislich Entzündungsmarker12
Muskelkontraktionen setzen Myokine frei – hormonähnliche Botenstoffe mit antientzündlicher Wirkung, u. a. auf Leber, Fettgewebe und Gehirn16.
Muskelmasse wird so zum aktiven Immunschutz.
Regeneration & Schlaf: Rhythmen wiederherstellen
Schlaf ist kein passiver Zustand, sondern aktive Regeneration auf zellulärer Ebene. In Studien zeigen sich bereits nach wenigen Nächten mit unterbrochenem Schlaf erhöhte CRP- und IL-6-Werte9,10.
Regulationsfördernd:
- Konsistente Schlafenszeiten
- Blaulichtreduktion am Abend
- Dunkler, ruhiger, kühler Schlafraum
- Atemübungen oder „parasympathische Einschlafrituale“ (z. B. längeres Ausatmen)
Auch die Qualität der Tiefschlafphasen beeinflusst, wie gut Reparaturprozesse ablaufen – etwa im Gehirn (Glymphatisches System)17, im Muskelgewebe oder bei der Hormonregulation.
Stresspufferung: Nervensystem entlasten
Chronischer Stress ist einer der stärksten Verstärker stiller Entzündung. Entscheidend ist nicht die Stressvermeidung – sondern die Regulation der Stressantwort. Das gelingt über bewährte, alltagsnahe Strategien:
- Atemtechniken (z. B. 4–6 Atmungen/Minute, Box Breathing)
- Soziale Verbindung – nachweislich entzündungsdämpfend
- Bewegung in der Natur
- Rhythmus statt Dauererreichbarkeit (z. B. Microbreaks, klare Pausen)
Studien zeigen, dass auch positive soziale Interaktion – unabhängig von Therapie oder Intervention – die inflammatorische Genexpression reduzieren kann18.
Fazit dieses Abschnitts:
Regulation gelingt nicht durch Extremmaßnahmen, sondern durch wiederholte, physiologisch sinnvolle Reize. Der Körper reagiert – besonders in der Lebensmitte – auf Stabilität, Vielfalt und Rückkopplung. Ernährung, Bewegung, Schlaf und Stressverarbeitung sind keine isolierten Werkzeuge, sondern integrierte Systeme. Wer sie klug nutzt, kann entzündliche Prozesse gezielt beeinflussen.
Conclusio: Entzündung verstehen – und gezielt beeinflussen
Stille Entzündung ist kein Modebegriff. Sie ist ein wissenschaftlich belegtes Phänomen, das sich über Jahre entwickeln kann – schleichend, systemisch, oft unbemerkt. Und genau darin liegt ihre Relevanz. Denn besonders in der Lebensmitte geraten verschiedene Systeme gleichzeitig unter Druck: das Immunsystem, der Hormonhaushalt, der Stoffwechsel und das Nervensystem. Die Regulationsfähigkeit sinkt, die Reizempfindlichkeit steigt – was zuvor kompensiert wurde, wird nun spürbar.
Entscheidend ist, stille Entzündungen weder zu ignorieren noch zu dramatisieren. Vielmehr geht es um ein fundiertes Verständnis dafür, wie physiologische Prozesse zusammenhängen – und wie sie im Alltag beeinflusst werden können.
Nicht jede Frau in der Menopause entwickelt entzündliche Prozesse. Aber das Risiko steigt, wenn mehrere Belastungsfaktoren zusammentreffen – hormonell, metabolisch, emotional oder umweltbedingt.
Was helfen kann, ist keine Einzelmaßnahme, sondern ein integrativer Ansatz: Nährstoffreiche Ernährung, kraftvolle Bewegung mit Pausen, rhythmischer Schlaf, soziale Stabilität und mentale Entlastung. Es braucht keine Dogmen, sondern Orientierung. Keine Schuldzuweisungen, sondern ein realistisches Bewusstsein für Handlungsspielräume.
Laborwerte wie hsCRP, IL-6 oder TNF-α können Hinweise liefern – aber sie ersetzen nicht die klinische und alltagsbezogene Perspektive.
Wer sich mit stiller Entzündung auseinandersetzt, kann Beschwerden neu einordnen – von Gelenkreaktionen über mentale Erschöpfung bis hin zu Veränderungen im Stoffwechsel. Und genau darin liegt das Potenzial: Symptome nicht einfach hinzunehmen, sondern verstehbar zu machen. Nicht, weil etwas „nicht stimmt“ – sondern weil der Körper auf seine Weise reagiert.
Zusammenfassung auf einen Blick:
- Stille Entzündung verläuft systemisch, unterschwellig und wird durch Hormonveränderungen verstärkt.
- Lebensstilfaktoren wie viszerales Fett, Schlafmangel, Stress oder Ernährung wirken entzündungsfördernd – besonders im Zusammenspiel.
- Symptome sind oft diffus, betreffen aber zentrale Systeme wie Gehirn, Muskulatur, Verdauung und Stoffwechsel.
- Regulierung ist möglich – über Ernährung, Bewegung, Schlaf, soziale Faktoren und Stressverarbeitung.
- Nicht das einzelne Symptom steht im Vordergrund, sondern das Verständnis der systemischen Prozesse.
Weiterführende Ressourcen:
- Podcast Bewegtes Leben, Folge 11: „hsCRP, Hormone & Regulation – stille Entzündung verstehen“
- Vertiefung: Folge 9 & 10 zum Thema Gehirngesundheit, Neuroinflammation und Energiemetabolismus
- Blogbeiträge zur Ernährung, Bewegung und Muskelregeneration in der Lebensmitte
Noch ein Gedanke:
Wer Symptome ernst nimmt – auch wenn sie leise sind – beginnt, die Sprache des Körpers zu verstehen. Und genau darin liegt der Anfang eines neuen Umgangs mit Gesundheit, gerade in der Lebensmitte.
Quellen:
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