Stress und Hormone im Dialog. Regulation verstehen, Gesundheit bewahren

Nov. 3, 2025 | FemSportsHealth

von Dr. Christine Lohr

Stress aktiviert komplexe hormonelle Regelkreise, die Energie, Stimmung und Stoffwechsel steuern. Wie Cortisol, Östrogen und Progesteron in diesem Netzwerk zusammenwirken und warum Bewegung, Ernährung und Erholung zentrale Impulse für die hormonelle Balance sind.

Stress gilt oft als rein psychologisches Phänomen, als Reaktion auf Druck, Erwartungen oder emotionale Belastung. Tatsächlich ist Stress aber ein physiologischer Zustand, der Energie mobilisiert und Anpassung ermöglicht. Kurzfristig stärkt er die Reaktionsfähigkeit des Körpers. Wird er jedoch zum Dauerzustand, verändert sich die hormonelle Regulation. Cortisol, Östrogen, Progesteron, Testosteron und Insulin stehen dabei in einem fein abgestimmten Dialog, der Körper und Gehirn miteinander verbindet. Dieses Netzwerk reagiert sensibel auf innere und äußere Reize, wie auf Schlaf, unsere Ernährung, Bewegung und auch mentale Belastung. Die Frage ist also nicht, ob Stress „gut“ oder „schlecht“ ist, sondern wie gut der Körper zwischen Aktivierung und Erholung regulieren kann. Genau darum geht es in diesem Beitrag: um das Zusammenspiel von Stress und Hormonen und wie sich diese Regulation in verschiedenen Lebensphasen verändert.

Stress als Regulationsprinzip: Die Sprache der Hormone

Stress ist keine rein psychologische Reaktion, sondern ein biologisches Prinzip, das Anpassung ermöglicht. Der Körper erkennt eine Herausforderung, aktiviert ein komplexes Steuerungssystem und setzt Hormone frei, die Energie bereitstellen. Diese Reaktion wird über das zentrale Nervensystem koordiniert, genauer über den Hypothalamus – eine kleine, aber zentrale Schaltstelle im Gehirn. Von dort aus werden Signale über die Hypophyse an die Nebennierenrinde gesendet, wo Cortisol produziert wird.

Cortisol erhöht Blutzucker und Blutdruck, mobilisiert Energie und beeinflusst das Immunsystem. Gleichzeitig steht es in enger Wechselwirkung mit anderen Hormonen wie Insulin, Melatonin, Östrogen und Progesteron. Wird dieser Kreislauf über längere Zeit aktiviert, kann die hormonelle Kommunikation aus dem Gleichgewicht geraten 1,9.

Hormone sind die Sprache des Körpers. Sie übersetzen Wahrnehmung, Bewegung und Emotionen in biochemische Signale, die den Organismus steuern. Diese Regulation ist kein starres Gleichgewicht, sondern ein dynamischer Rhythmus aus Aktivierung und Erholung. Gelingt die Rückkehr in die Ruhephase nicht mehr, wird Stress chronisch und kann Gesundheit, Regeneration und Stoffwechsel nachhaltig beeinträchtigen10,14.

Infobox: Die Stressachse (HPA-Achse)

Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA-Achse) ist das zentrale Steuerungssystem der Stressreaktion.

  1. Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH)
    – Wird im Hypothalamus freigesetzt, sobald eine Belastung erkannt wird.
    – Es aktiviert die Hypophyse, die nächste Schaltstelle der Regulation.
  2. Adrenocorticotropes Hormon (ACTH)
    – Entsteht in der Hypophyse und gelangt über den Blutkreislauf zur Nebennierenrinde.
    – Dort stimuliert es die Produktion von Cortisol.
  3. Cortisol
    – Wirkt in nahezu allen Geweben, mobilisiert Energie und stabilisiert die Homöostase.
    – Über eine negative Rückkopplung hemmt Cortisol den Hypothalamus und die Hypophyse, sobald ausreichend Hormon im Blut zirkuliert.

Diese Kaskade sorgt dafür, dass der Körper kurzfristig leistungsfähig bleibt und Überreaktionen verhindert werden. Wird die Achse jedoch dauerhaft aktiviert, kann Cortisol den Schlaf-Wach-Rhythmus, den Zuckerstoffwechsel und die Immunfunktion beeinträchtigen.

Wenn Stress hormonell wird: Die Achsen im Körper

Stress ist kein isoliertes Ereignis. Im Körper reagieren mehrere hormonelle Systeme gleichzeitig – vor allem die HPA-Achse, die Stressreaktionen steuert, und die Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse (HPG-Achse), die für die Regulation der Sexualhormone verantwortlich ist.

Beide Achsen sind über den Hypothalamus miteinander verbunden und beeinflussen sich wechselseitig. Wird die Stressachse wiederholt aktiviert, verändert sich das Gleichgewicht des gesamten hormonellen Netzwerks. Cortisol greift dann in Prozesse ein, die Energie, Schlaf oder Zyklus steuern. Es geht weniger um „zu viel Cortisol“, sondern um eine gestörte Abstimmung zwischen Aktivierung und Erholung9,11.

Infobox: Die Hormonachse zwischen Gehirn und Ovar (HPG-Achse)

Die Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse steuert die Reifung der Eizellen und die Ausschüttung der Geschlechtshormone.

  1. Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH)
    – Wird im Hypothalamus gebildet und rhythmisch ausgeschüttet.
    – Regt die Hypophyse an, zwei weitere Hormone freizusetzen: LH (Luteinisierendes Hormon) und FSH (Follikelstimulierendes Hormon).
  2. LH und FSH
    – Gelangen über den Blutkreislauf zu den Ovarien und steuern dort die Follikelreifung sowie die Produktion von Östrogen und Progesteron.
  3. Östrogen und Progesteron
    – Geben Rückmeldung an Hypothalamus und Hypophyse, um die Hormonspiegel zu regulieren.
    – Sie beeinflussen Stimmung, Schlaf, Temperaturregulation und Energiestoffwechsel.

Bei chronischem Stress hemmt Cortisol die Ausschüttung von GnRH, LH und FSH. Der Körper verlagert seine Prioritäten auf kurzfristige Energieverfügbarkeit, während Reproduktion und Regeneration zurückgestellt werden. So erklärt sich, warum anhaltende Belastung zu Zyklusstörungen, PMS-ähnlichen Symptomen oder ausbleibenden Eisprüngen führen kann.

Drei hormonelle Zustände und ihre Anpassungen

Schwangerschaft – hormonelle Höchstleistung und Schutzsystem

Während der Schwangerschaft laufen im Körper komplexe Regulationsmechanismen ab. Östrogen, Progesteron und Cortisol steigen stark an, um Energiehaushalt, Kreislauf und Immunsystem anzupassen. Die Plazenta übernimmt dabei eine entscheidende Steuerfunktion. Sie produziert Hormone, die die Schwangerschaft stabilisieren, und wandelt über bestimmte Enzyme aktives Cortisol in eine abgeschwächte Form um, um den Fötus zu schützen.
Zugleich sorgt die Aromatase für den Abbau überschüssiger Androgene und ihre Umwandlung in Östrogene. Diese Prozesse bilden ein fein abgestimmtes Schutzsystem für Mutter und Kind1.

Mit der erhöhten Stoffwechselaktivität verändert sich auch der Nährstoffbedarf:
Folat und Vitamin B12 unterstützen Zellteilung und Blutbildung;
Eisen deckt den steigenden Sauerstoffbedarf;
Magnesium und Zink stabilisieren Muskelfunktion und Immunsystem;
Omega-3-Fettsäuren fördern die neuronale Entwicklung des Kindes.
Ein Mangel an diesen Mikronährstoffen kann die Stressresilienz der Mutter beeinträchtigen und langfristig auch die kognitive Entwicklung des Kindes beeinflussen5,6.

Hormonelle Kontrazeption – kontrollierte Steuerung, veränderte Regulation

Hormonelle Verhütungsmittel verändern gezielt die natürliche Rückkopplung im Hormonsystem. Durch synthetische Östrogene und Gestagene wird die Ausschüttung der körpereigenen Steuerhormone unterdrückt. Der Eisprung bleibt aus, die Schleimhaut wird stabilisiert. Diese künstliche Gleichmäßigkeit beeinflusst jedoch auch andere Systeme – darunter die Stressachse und den Mikronährstoffhaushalt3.

Studien zeigen, dass bei der Einnahme hormoneller Kontrazeptiva die Spiegel von Vitamin B6, B12 und Folat sinken können. Gleichzeitig werden Zink und Magnesium vermehrt verbraucht, während antioxidative Substanzen wie Vitamin C und E stärker abgebaut werden. Diese Veränderungen können sich auf Energiehaushalt, Stimmung und Stressregulation auswirken4,12.

Nach dem Absetzen der Pille benötigt der Körper Zeit, um die eigene Hormonrhythmik wiederzufinden. Das erklärt, warum manche Frauen erst nach mehreren Monaten wieder regelmäßige Zyklen oder eine stabile Energie erleben – keine Dysfunktion, sondern Teil der hormonellen Neuabstimmung.

Lebensmitte – hormonelle Neuorganisation und veränderte Stressregulation

In der Lebensmitte verändert sich die hormonelle Kommunikation zwischen Gehirn, Ovarien und Nebennieren grundlegend. Östrogen und Progesteron sinken, Cortisol und Insulin übernehmen stärker regulierende Rollen. Diese Verschiebung kann das Gleichgewicht zwischen Aktivierung und Erholung beeinflussen. Schlafprobleme, Reizbarkeit oder Temperaturwellen sind Zeichen dieser Umstellung7,8.

Mit dem Rückgang der Ovarfunktion steigen die Anforderungen an Mikronährstoffe und an die muskuläre Aktivität. Magnesium, Zink, B-Vitamine und Omega-3-Fettsäuren unterstützen die neuronale Regulation, während Proteinbedarf und Muskelarbeit steigen, um Stoffwechsel und Hormonbalance zu stabilisieren.
Krafttraining wirkt in dieser Phase wie ein biologischer Gegenspieler zu chronischem Stress: Es senkt langfristig Cortisolspiegel, steigert die Freisetzung von Testosteron in physiologischer Menge und verbessert die Insulinsensitivität. Damit trägt es dazu bei, den anabolen (aufbauenden) Stoffwechsel zu stärken und die Stressresistenz zu fördern13.

Regulation im Alltag

Hormone reagieren fortlaufend auf Umweltreize. Licht, Bewegung, Ernährung und Schlaf wirken als biologische Signale, die bestimmen, ob der Körper aktiviert oder regeneriert.

Ein stabiler Tag-Nacht-Rhythmus unterstützt die hormonelle Balance. Helles Tageslicht am Morgen stimuliert die Bildung von Cortisol und Serotonin, Dunkelheit am Abend fördert die Ausschüttung von Melatonin. Wird dieser Rhythmus gestört – etwa durch Schichtarbeit oder abendliches Bildschirmlicht – bleibt die Stressachse aktiv. Das erschwert die Erholung und kann langfristig die Immunfunktion schwächen10.

Regelmäßige Muskelarbeit wirkt regulierend. Krafttraining und intensive Bewegung senken Cortisol, verbessern den Glukosestoffwechsel und fördern die Ausschüttung von Wachstums- und Sexualhormonen. Dabei ist nicht die Dauer entscheidend, sondern die Qualität: kurze, gezielte Reize mit ausreichender Erholung. So entsteht eine rhythmische Balance zwischen Anspannung und Entlastung, die Stoffwechsel, Immunsystem und Hormonsignale stabilisiert2.

Fazit

Stress ist kein Feind, sondern Teil eines biologischen Kommunikationssystems. Wesentlicher Faktor ist das Gleichgewicht zwischen Aktivierung und Erholung.
Cortisol, Östrogen, Progesteron und Insulin sind keine isolierten Hormone, sondern Bestandteile eines fein abgestimmten Netzwerks. Es reagiert auf den Alltag – auf Bewegung, Ernährung, Licht und Schlaf.

Wer versteht, wie dieses System arbeitet, kann gezielt Einfluss nehmen: durch regelmäßige Bewegung, ausreichend Regeneration und eine nährstoffbewusste Ernährung.
So bleibt hormonelle Regulation anpassungsfähig, als Grundlage für Gesundheit, Leistungsfähigkeit und innere Stabilität in jeder Lebensphase.

Quellen:

  1. Albert KM, Newhouse PA. Estrogen, Stress, and Depression: Cognitive and Biological Interactions. Annu Rev Clin Psychol. 2019;15:399–423. eng. doi:10.1146/annurev-clinpsy-050718-095557.
  2. Athanasiou N, Bogdanis GC, Mastorakos G. Endocrine responses of the stress system to different types of exercise. Rev Endocr Metab Disord. 2023;24(2):251–266. eng. doi:10.1007/s11154-022-09758-1.
  3. Back DJ, Orme ML. Pharmacokinetic drug interactions with oral contraceptives. Clin Pharmacokinet. 1990;18(6):472–484. eng. doi:10.2165/00003088-199018060-00004.
  4. Basciani S, Porcaro G. Counteracting side effects of combined oral contraceptives through the administration of specific micronutrients. Eur Rev Med Pharmacol Sci. 2022;26(13):4846–4862. eng. doi:10.26355/eurrev_202207_29210.
  5. Carvalho B, Granot M, Sultan P, Wilson H, Landau R. A Longitudinal Study to Evaluate Pregnancy-Induced Endogenous Analgesia and Pain Modulation. Regional Anesthesia and Pain Medicine. 2016;41(2):175–180. eng. doi:10.1097/AAP.0000000000000359.
  6. Haggarty P. Fatty acid supply to the human fetus. Annu Rev Nutr. 2010;30:237–255. eng. doi:10.1146/annurev.nutr.012809.104742.
  7. Hale GE, Robertson DM, Burger HG. The perimenopausal woman: endocrinology and management. J Steroid Biochem Mol Biol. 2014;142:121–131. eng. doi:10.1016/j.jsbmb.2013.08.015.
  8. Hickey M, LaCroix AZ, Doust J, Mishra GD, Sivakami M, Garlick D, Hunter MS. An empowerment model for managing menopause. The Lancet. 2024;403(10430):947–957. eng. https://​www.thelancet.com​/​journals/​lancet/​article/​PIIS0140-6736(23)02799-X/​fulltext. doi:10.1016/S0140-6736(23)02799-X.
  9. Hu Y, Wang W, Ma W, Wang W, Ren W, Wang S, Fu F, Li Y. Impact of psychological stress on ovarian function: Insights, mechanisms and intervention strategies (Review). Int J Mol Med. 2025;55(2). eng. doi:10.3892/ijmm.2024.5475.
  10. Irwin MR. Sleep and inflammation: partners in sickness and in health. Nature Reviews Immunology. 2019;19(11):702–715. eng. doi:10.1038/s41577-019-0190-z.
  11. Jiang Y, Xu J, Tao C, Lin Y, Lin X, Li K, Liu Q, Saiyin H, Hu S, Yao G, et al. Chronic stress induces meiotic arrest failure and ovarian reserve decline via the cAMP signaling pathway. Frontiers in Endocrinology. 2023;14:1177061. eng. doi:10.3389/fendo.2023.1177061.
  12. Palmery M, Saraceno A, Vaiarelli A, Carlomagno G. Oral contraceptives and changes in nutritional requirements. Eur Rev Med Pharmacol Sci. 2013;17(13):1804–1813. eng.
  13. Vollrath S, Bitterlich N, Lüdin D, Rothenbühler A, Hackney AC, Lorenzetti S, Drewek A, Achermann BB, Du Toit T, Stute P. Female Athletes and Resistance Training: Acute Hormonal Response and the Influence of the Menstrual Cycle on Training Performance. [place unknown]: [publisher unknown]; 2025.
  14. Zaccaro A, Piarulli A, Laurino M, Garbella E, Menicucci D, Neri B, Gemignani A. How Breath-Control Can Change Your Life: A Systematic Review on Psycho-Physiological Correlates of Slow Breathing. Front Hum Neurosci. 2018;12:353. eng. https://​pmc.ncbi.nlm.nih.gov​/​articles/​PMC6137615/​. doi:10.3389/fnhum.2018.00353.