Testosteron in den Wechseljahren. Das vergessene Hormon?

Sep. 3, 2025 | FemSportsHealth

von Dr. Christine Lohr

Die Datenlage wächst, doch ohne zugelassene Präparate bleibt die Therapie für viele Frauen eine Herausforderung.

Testosteron gilt oft als „männliches“ Hormon, spielt jedoch auch im weiblichen Körper eine zentrale Rolle. In den Wechseljahren sinken die Spiegel kontinuierlich ab und können sich auf Sexualität, Muskulatur, Knochendichte und allgemeines Wohlbefinden auswirken. Während die Wirkung auf die sexuelle Funktion durch Studien gut belegt ist, bleibt der Nutzen in anderen Bereichen bislang unklar. Forschungslücken, fehlende Zulassungen und Zurückhaltung in der Versorgung führen dazu, dass viele Frauen bis heute keinen verlässlichen Zugang zu dieser Therapie haben.

Historischer Überblick – warum so wenig Beachtung?

Während Östrogen und Progesteron seit Jahrzehnten im Mittelpunkt der Frauenmedizin stehen, blieb Testosteron bei Frauen weitgehend unbeachtet. Dabei wird es sowohl in den Ovarien als auch in den Nebennieren produziert, wenn auch in deutlich geringerer Menge als bei Männern. Es trägt zur Libido, zur Knochengesundheit, zur Muskulatur und zu kognitiven Funktionen bei5.

Nach den Ergebnissen der Women’s Health Initiative im Jahr 2002 verschob sich die Aufmerksamkeit stark auf Risiken von Östrogen-Gestagen-Kombinationen, und Forschung zu Androgenen wurde kaum weitergeführt12. Zudem gibt es bis heute in Deutschland kein zugelassenes Testosteronpräparat für Frauen. Einziger Versuch war das transdermale Pflaster Intrinsa, das in Europa zwar zugelassen, aber aus wirtschaftlichen Gründen wieder vom Markt genommen wurde 4.

Ein weiterer Grund liegt in der Diagnostik. Messungen im weiblichen Bereich sind schwierig, klassische Assays sind im niedrigen Konzentrationsbereich oft unzuverlässig. Valide Ergebnisse liefern nur moderne Massenspektrometrie-Verfahren4.

Was sagt die moderne Medizin?

Heute ist anerkannt, dass Testosteron auch für Frauen eine relevante Rolle spielt. Es beeinflusst Libido, Energie, Muskel- und Knochenstoffwechsel sowie kognitive Prozesse5. Am stärksten ist die Datenlage bei der sexuellen Funktion. Eine klare Indikation ist die Hypoactive Sexual Desire Disorder (HSDD), also eine anhaltende und belastende Störung mit vermindertem sexuellen Verlangen8.

Andere Einsatzfelder wie Müdigkeit, kognitive Veränderungen oder Osteoporose sind bislang nicht ausreichend belegt. Leitlinien betonen, dass Testosteron nur dann eingesetzt werden sollte, wenn andere Ursachen für die Beschwerden ausgeschlossen sind6.

Was wissen wir aus Studien?

Eine systematische Metaanalyse von 36 randomisierten kontrollierten Studien mit über 8.000 Frauen zeigte deutliche Effekte auf die sexuelle Funktion. Unter Testosteron kam es zu durchschnittlich 0,85 mehr zufriedenstellenden sexuellen Erfahrungen pro Monat, außerdem verbesserten sich Desire- und Arousal-Scores signifikant8. Die häufigsten Nebenwirkungen waren leichte androgenische Effekte wie Akne oder vermehrte Behaarung. Schwerwiegende unerwünschte Wirkungen wurden in Kurzzeitstudien nicht beobachtet8.

Neuere Reviews bestätigen diese Evidenz für die sexuelle Funktion. Ein Übersichtsartikel aus dem Jahr 2025 fasst die aktuelle Datenlage zusammen und betont, dass die Wirksamkeit für HSDD klar belegt ist, während für andere Indikationen wie Knochengesundheit, Stimmung oder Stoffwechsel weiterhin keine gesicherte Evidenz besteht3.

Testosteron und Knochengesundheit

Der Verlust von Östrogen gilt als Hauptursache für die Entwicklung einer Osteoporose in den Wechseljahren. Dennoch spielt auch Testosteron eine Rolle. Es wirkt direkt über Androgenrezeptoren im Knochen und indirekt durch Umwandlung in Östradiol5.

Frauen mit Amenorrhoe oder niedrigen Testosteronwerten haben ein erhöhtes Risiko für Knochenverlust und Frakturen9. In einer großen Metaanalyse8 (2019) zeigten sich jedoch keine konsistenten Verbesserungen der Knochendichte durch Testosterontherapie. Kleinere Studien deuten an, dass eine kombinierte Gabe von Östrogen und Testosteron additive Effekte auf trabekuläre Struktur und Muskelkraft haben könnte2.

Neue Arbeiten aus dem Jahr 2025 zeigen, dass die Kombination von Hormontherapie mit gezieltem Widerstandstraining besonders effektiv ist, um die Knochendichte in der Menopause zu stabilisieren. Der Beitrag von Testosteron bleibt hier ein Forschungsfeld, wird aber zunehmend in Studien integriert3,11.

Was sagen die Leitlinien?

Das Global Consensus Statement von 2019 betont, dass die einzige gesicherte Indikation für eine Testosterontherapie bei Frauen die HSDD ist. Empfohlen wird eine niedrig dosierte, transdermale Gabe. Injektionen oder Pellets sowie supraphysiologische Dosierungen werden ausgeschlossen4.

Die ISSWSH Clinical Practice Guideline von 2021 bestätigt diese Linie. Ziel sind physiologische Serumspiegel im weiblichen Referenzbereich10. Auch die North American Menopause Society (NAMS) empfiehlt Testosteron ausschließlich für HSDD, mit regelmäßigen Kontrollen der Spiegel und Nebenwirkungen7.

Die aktualisierte NICE-Guideline von 2024 spricht davon, dass Testosteron erwogen werden kann, wenn Libidoverlust trotz HRT fortbesteht (4). In Deutschland sieht die AWMF-S3-Leitlinie von 2020 vor, dass Testosteron nach psychosexueller Abklärung bei Libidoverlust erwogen werden kann1.

Praxis – moderner Einsatz

In der Praxis orientieren sich Ärztinnen und Ärzte an einem klaren Schema. Zunächst steht die sorgfältige Indikationsstellung, in der andere Ursachen für Libidoverlust ausgeschlossen werden. Basisuntersuchungen umfassen Gesamttestosteron, möglichst mit einer genauen Messmethode wie LC-MS/MS, sowie das Sexualhormon-bindende Globulin (SHBG)4,6.

Die Therapie erfolgt bevorzugt transdermal. Beispiele sind AndroFeme Creme mit 5 mg pro Tag oder reduzierte Dosierungen aus für Männer zugelassenen Gelen. Erste Kontrollen erfolgen nach 3 bis 6 Wochen, danach alle 6 bis 12 Monate. Ziel ist, die Spiegel im physiologischen weiblichen Referenzbereich zu halten4,10.

Nebenwirkungen wie leichte Akne oder vermehrte Behaarung sind möglich. Selten kommt es bei Überdosierung zu Stimmveränderungen oder Klitorishypertrophie. Kontraindikationen sind Schwangerschaft, Stillzeit, aktive Lebererkrankungen und hormonsensitive Tumoren10.

Werden Frauen wieder im Stich gelassen?

Frauen mit Testosteronmangel erleben oft erhebliche Einschränkungen. Gleichzeitig fehlen in Deutschland zugelassene Präparate, was eine Off-Label-Nutzung erforderlich macht. Viele Ärztinnen und Ärzte sind zurückhaltend, wodurch eine Versorgungslücke entsteht. Während Männer eine breite Auswahl an Präparaten haben, bleibt Frauen oft nur der Weg über individuelle Rezepturen8.

Dies verdeutlicht den Gender Bias in der Medizin. Forschungslücken, fehlende Zulassungen und das Stigma rund um weibliche Sexualität tragen dazu bei, dass Frauen auch im Jahr 2025 nicht den gleichen Zugang zu evidenzbasierter Therapie haben wie Männer5.

Es geht auch anders – moderne Ansätze

Ein zeitgemäßer Umgang mit Testosteron bedeutet, Frauen nicht länger mit pauschalen Ablehnungen oder Off-Label-Rezepturen allein zu lassen. Moderne Ansätze kombinieren eine sorgfältige Diagnostik mit einem individuellen Therapiekonzept. Dazu gehören ein Hormonprofil mit Gesamttestosteron und SHBG, die Auswahl eines standardisierten transdermalen Präparats in niedriger Dosierung und eine engmaschige ärztliche Begleitung.

Zudem zeigt sich, dass eine kombinierte Strategie wirksam sein kann: MHT zur Stabilisierung des Knochenstoffwechsels, ergänzt durch regelmäßiges Krafttraining und eine eiweißreiche Ernährung, verbessert die Chancen, Muskelmasse und Knochendichte zu erhalten12. Testosteron ist hier nicht als Allheilmittel zu verstehen, sondern als Baustein in einem Gesamtkonzept, das auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt ist.

Fazit

Testosteron ist kein rein männliches Hormon, sondern auch für Frauen essenziell. In den Wechseljahren sinkt sein Spiegel kontinuierlich, was sich auf Libido, Muskelkraft, Knochendichte und kognitive Funktionen auswirken kann. Die gesicherte Indikation bleibt aktuell die Behandlung von HSDD. Darüber hinaus ist die Datenlage uneinheitlich, und insbesondere zur Langzeitsicherheit fehlen Studien3,8.

Gleichzeitig macht die Versorgungslage deutlich, dass Frauen auch im Jahr 2025 nicht den gleichen Zugang zu evidenzbasierten Therapien haben wie Männer. Fehlende Zulassungen, Forschungslücken und gesellschaftliche Tabus führen dazu, dass viele Patientinnen auf Off-Label-Verordnungen oder individuelle Rezepturen angewiesen sind4.

Die Zukunft liegt in einer Kombination aus besserer Forschung, klaren Leitlinien und zugelassenen Präparaten, die Frauen eine sichere und wirksame Therapie ermöglichen. Bis dahin bleibt die Aufgabe, Patientinnen differenziert zu beraten, ihre Beschwerden ernst zu nehmen und evidenzbasierte Optionen individuell zu prüfen.

Quellen:

  1. Arzneimittelgesetz (AMG) §4. [place unknown]: [publisher unknown] [accessed 2025 Jul 29]. https://​www.bfarm.de​/​DE/​Arzneimittel/​Zulassung/​Folgeverfahren/​Ergebnisberichte-klinischer-Pruefungen/_​artikel.html.
  2. Dam TV, Dalgaard LB, Ringgaard S, Johansen FT, Bisgaard Bengtsen M, Mose M, Lauritsen KM, Ørtenblad N, Gravholt CH, Hansen M. Transdermal Estrogen Therapy Improves Gains in Skeletal Muscle Mass After 12 Weeks of Resistance Training in Early Postmenopausal Women. Frontiers in Physiology. 2020;11:596130. eng. doi:10.3389/fphys.2020.596130.
  3. Davis SR. Not just sex: other roles for testosterone in women. Climacteric. 2025;28(4):373–376. eng. doi:10.1080/13697137.2024.2445301.
  4. Davis SR, Baber R, Panay N, Bitzer J, Cerdas Perez S, Islam RM, Kaunitz AM, Kingsberg SA, Lambrinoudaki I, Liu J, et al. Global Consensus Position Statement on the Use of Testosterone Therapy for Women. Climacteric. 2019;22(5):429–434. eng. doi:10.1080/13697137.2019.1637079.
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  7. Fontaine C, Gosset A, Davezac M, Buscato M, Grouthier V, Renault M-A, Henrion D, Trémollières F, Schumacher M, Lenfant F, et al. From sex hormone decrease to hormonal treatment: impacts on cardiovascular risk with ageing. Cardiovasc Res. 2025. eng. doi:10.1093/cvr/cvaf086.
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