Von Premarin bis Bioidentika: Hormontherapie in den Wechseljahren – Fakten und wissenschaftliche Einordnung

März 5, 2025 | FemSportsHealth, Historie, Hormontherapie, Menopause, Perimenopause, Wissenschaft

von Dr. Christine Lohr

Wie sich die Sicht auf die Hormontherapie im Laufe der Jahrzehnte verändert hat – ein wissenschaftlich fundierter Überblick

Die Menopausale Hormontherapie (MHT) ist eines der kontroversesten Themen im Bereich der Frauengesundheit. Während einige sie als wirksame Unterstützung zur Linderung von Wechseljahresbeschwerden sehen, warnen andere vor möglichen Risiken. Dabei hat sie, wenn sie korrekt und frühzeitig angewendet wird, auch protektive Funktionen auf verschiedene Körpersysteme, etwa das Herz-Kreislauf-System, den Bewegungsapparat und das Gehirn. In diesem Beitrag werfen wir einen faktenbasierten Blick auf die Geschichte, Nutzen und Risiken der Hormontherapie und klären einige häufig gestellte Fragen.

Die Geschichte der Hormontherapie – von der Entdeckung bis heute

Die wissenschaftliche Erforschung von Hormonen begann bereits im frühen 20. Jahrhundert. Der Begriff „Hormon“ wurde 1905 von Ernest Starling geprägt, und 1929 isolierte Adolf Butenandt das erste Östrogen, Östron aus dem Urin schwangerer Frauen. In den 1940er Jahren wurde das Präparat Premarin aus dem Urin trächtiger Stuten entwickelt und als erstes Medikament zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden eingesetzt. Premarin enthält konjugierte Östrogene, die zwar natürlichen Ursprungs sind, aber nicht bioidentisch mit menschlichem Östrogen. Es handelt sich um eine Mischung verschiedener Östrogenverbindungen, darunter auch einige, die im menschlichen Körper nicht natürlich vorkommen2.

In den 1960er Jahren propagierte der Arzt Robert A. Wilson eine Therpaie mit Östrogen als Mittel zur Verjüngung, was die breite Anwendung der Hormontherapie förderte. Sein Buch Feminine Forever aus dem Jahr 1966 trug maßgeblich zur Verbreitung dieser Sichtweise bei, indem es die Wechseljahre als „Defizienzkrankheit“ darstellte, die behandelt werden müsse, um Frauen weiterhin attraktiv und begehrenswert zu halten. Wilsons Aussagen waren nicht nur medizinisch fragwürdig, sondern auch zutiefst sexistisch, da er Frauen in erster Linie über ihr jugendliches Erscheinungsbild und ihre Rolle als Ehefrauen und Mütter definierte11. Diese Sichtweise entsprach den gesellschaftlichen Strömungen der Nachkriegszeit, in der viele Frauen nach den Jahren der Erwerbstätigkeit während des Krieges wieder in traditionelle Rollenbilder gedrängt wurden. Die Idee, dass Frauen ihre Attraktivität und „Weiblichkeit“ durch Hormongaben bewahren müssten, fügte sich nahtlos in das konservative Familienideal dieser Zeit ein.

Die Pharmaindustrie griff diese Argumentation bereitwillig auf, um die Hormontherapie als Standardbehandlung für alle Frauen in den Wechseljahren zu etablieren. Zunächst wurden hochdosierte Östrogentherapien propagiert, bis sich in den 1970er Jahren erste Sicherheitsbedenken häuften, insbesondere im Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für Gebärmutterkrebs. Dies führte zur Einführung der Kombinationstherapie aus Östrogen und Gestagen in angepassten Dosierungen, um das Krebsrisiko zu senken. In den 1980er Jahren kam Prempro auf den Markt, eine Kombination aus konjugiertem Östrogen und dem synthetischen Gestagen Medroxyprogesteronacetat, die breit eingesetzt wurde. Erst später stellte sich heraus, dass bestimmte Gestagen-Varianten möglicherweise mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko verbunden sind, was zu weiteren Anpassungen in der Therapie führte2.

Die 1980er und 1990er Jahre waren geprägt von einer zunehmenden Verschreibung von MHT, insbesondere zur Prävention von Osteoporose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ein Wendepunkt kam 2002 mit der Veröffentlichung erster Ergebnisse der Women’s Health Initiative (WHI)8, einer groß angelegten, randomisierten Studie, die die langfristigen Auswirkungen der Hormontherapie auf die Gesundheit von postmenopausalen Frauen untersuchen sollte. Ziel der WHI war es, zu klären, ob eine MHT nicht nur Wechseljahresbeschwerden lindert, sondern auch präventive Effekte auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen hat, da frühere Beobachtungsstudien auf einen solchen Zusammenhang hingewiesen hatten.

Die ersten veröffentlichten Ergebnisse legten nahe, dass MHT mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko verbunden sein könnte, was zu einem massiven Rückgang der Verschreibungszahlen führte. Allerdings waren viele der Schlagzeilen, die sich aus dieser Studie ableiteten, verkürzt und wenig differenziert.

Spätere Analysen zeigten, dass die WHI-Studie methodische Einschränkungen aufwies:

  • Die untersuchten Frauen hatten ein durchschnittliches Alter von 63 Jahren, also weit über dem typischen Alter für den Beginn einer Hormontherapie.
  • Viele der Teilnehmerinnen wiesen bereits Vorerkrankungen oder Übergewicht auf – Faktoren, die das Gesundheitsrisiko unabhängig von der Hormontherapie beeinflussen können.
  • Es wurde nicht zwischen verschiedenen Formen der MHT differenziert, sodass unklar blieb, ob bestimmte Präparate oder Applikationsformen unterschiedliche Risikoprofile aufwiesen.
  • Während in den Medien vor allem das Brustkrebsrisiko hervorgehoben wurde, fanden die positiven Effekte der MHT – wie die Reduktion des Risikos für Darmkrebs, Osteoporose und Diabetes – kaum Beachtung.

Diese einseitige Darstellung führte zu einer drastischen Verunsicherung von Ärzt:innen und Patientinnen, die teilweise bis heute anhält. Noch immer sind vereinfachte oder verkürzte Darstellungen verbreitet, die das komplexe Nutzen-Risiko-Profil der MHT nicht adäquat widerspiegeln. Erst in den vergangenen Jahren setzte sich eine differenzierte Betrachtung durch, die eine individuell angepasste Anwendung der MHT in den Fokus rückt.

Nutzen und Risiken der Hormontherapie

Welche Symptome kann eine Hormontherapie lindern?

Eine individuell abgestimmte Hormontherapie kann eine Vielzahl von Wechseljahresbeschwerden effektiv lindern, darunter:

  • Hitzewallungen und Nachtschweiß
  • Schlafstörungen
  • Stimmungsschwankungen und Konzentrationsprobleme
  • Vaginale Trockenheit und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr

Zudem gibt es Hinweise auf positive Effekte der MHT auf verschiedene Körpersysteme. Sie kann helfen, den Knochendichteverlust zu verlangsamen und hat potenziell muskelprotektive Eigenschaften, indem sie die Proteinsynthese unterstützt10. Ebenso gibt es Hinweise darauf, dass MHT eine schützende Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System haben kann und möglicherweise das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer reduziert1. Dennoch bleibt regelmäßige Bewegung, insbesondere Krafttraining, essenziell für den langfristigen Erhalt von Muskelkraft und körperlicher Funktion, da MHT körperliches Training nicht ersetzen kann.

Erhöht eine Hormontherapie das Krebsrisiko?

Die Frage nach dem Krebsrisiko ist eine der häufigsten und umstrittensten. Besonders in Bezug auf Brustkrebs gibt es klare wissenschaftliche Erkenntnisse: Das Risiko ist leicht erhöht, wobei entscheidend ist, welche Form der Hormontherapie verwendet wird4. Insbesondere synthetische Gestagene wie Medroxyprogesteronacetat gelten als Hauptfaktor für das erhöhte Brustkrebsrisiko, während bioidentisches Progesteron möglicherweise ein günstigeres Sicherheitsprofil aufweist9.

  • Synthetische Gestagene (z. B. Medroxyprogesteronacetat) sind mit einem leicht erhöhten Brustkrebsrisiko assoziiert.
  • Bioidentisches Progesteron zeigt in aktuellen Studien kein vergleichbares Risiko, hat möglicherweise ein günstigeres Sicherheitsprofil, wird aber weiterhin erforscht.

Im Vergleich zu anderen bekannten Risikofaktoren hat die Hormontherapie nur einen moderaten Einfluss auf das Brustkrebsrisiko. Regelmäßiger Alkoholkonsum oder Bewegungsmangel stellen deutlich stärkere Risikofaktoren dar.

Ein Blick auf die Gesamtsterblichkeit verdeutlicht die Relationen: Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind mit etwa 52 % die häufigste Todesursache bei Frauen in Europa, während Brustkrebs für rund 3 % der Todesfälle verantwortlich ist7.

Zudem zeigen Studien, dass eine frühzeitige MHT, wenn sie innerhalb des therapeutischen Fensters (Weiteres dazu folgt) begonnen wird, nicht nur Wechseljahresbeschwerden lindern, sondern auch das Risiko für Herzinfarkte und andere kardiovaskuläre Erkrankungen reduzieren kann6.

Dennoch sollte die Entscheidung für eine Hormontherapie stets individuell getroffen werden – unter sorgfältiger Abwägung der persönlichen gesundheitlichen Voraussetzungen und in ärztlicher Rücksprache.

Einfluss auf Muskeln, Knochen, das Herz-Kreislauf-System und Gehirn

Östrogen spielt eine zentrale Rolle für die Knochengesundheit, da es den Abbau der Knochensubstanz verlangsamt und so das Risiko für Osteoporose und Frakturen reduziert. Ebenso wirkt es muskelprotektiv, indem es die Proteinsynthese unterstützt.

Wie bereits erwähnt, kann die menopausale Hormontherapie protektive Effekte auf das Herz-Kreislauf-System haben kann, wenn sie innerhalb des sogenannten „therapeutischen Fensters“ – also in den ersten zehn Jahren nach der Menopause – begonnen wird. Studien zeigen, dass Frauen, die frühzeitig mit einer MHT starten, ein geringeres Risiko für Herzinfarkte und andere kardiovaskuläre Erkrankungen haben. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass eine frühzeitige MHT auch das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer reduzieren könnte. Diese Zusammenhänge werden jedoch weiterhin erforscht, da nicht alle Studien konsistente Ergebnisse zeigen.

Praktische Anwendung: Welche Formen der Hormontherapie gibt es?

Bioidentische vs. synthetische Hormone

Bioidentische Hormone sind in ihrer chemischen Struktur identisch mit den körpereigenen Hormonen und werden meist aus pflanzlichen Ausgangsstoffen wie Yamswurzel (Diosgenin) oder Soja (Stigmasterin) chemisch über verschiedene Zwischenschritte synthetisiert. Sie gelten als gut verträglich und haben möglicherweise ein besseres Sicherheitsprofil als synthetische Varianten.

Applikationsformen: Tablette, Pflaster oder Gel?

Bei der Applikation der MHT ist zwischen der Östrogen- und der Gestagen-Komponente zu unterscheiden, da sie unterschiedliche Stoffwechselwege und Risiken aufweisen:

  • Östrogen:
    • Orale Einnahme: Erhöht das Risiko für Thrombosen, da das Hormon über die Leber verstoffwechselt wird.
    • Transdermale Anwendung (Pflaster, Gel, Spray): Gilt als risikoärmer, da der Stoffwechselweg über die Leber umgangen wird und somit kein erhöhtes Thromboserisiko besteht.
    • Vaginale Anwendung: Besonders geeignet zur lokalen Behandlung von Beschwerden wie vaginaler Trockenheit.
  • Progesteron/Gestagen:
    • Orale Einnahme: Bioidentisches, mikronisiertes Progesteron wird häufig als gut verträglich angesehen, während synthetische Gestagene eher mit einem leicht erhöhten Brustkrebsrisiko assoziiert werden.
    • Vaginale Anwendung: Eine mögliche Alternative zur oralen Einnahme, da sie eine direkte Wirkung auf die Gebärmutterschleimhaut hat und geringere systemische Nebenwirkungen zeigen kann.
    • Intrauterine Applikation (Hormonspirale): Setzt lokal Gestagen frei und schützt die Gebärmutterschleimhaut, während systemische Nebenwirkungen minimiert werden.

Wann und wie lange sollte eine Hormontherapie durchgeführt werden?

Der optimale Zeitpunkt für den Beginn einer Hormontherapie ist direkt nach der Menopause, jedoch nicht später als zehn Jahre nach der letzten Regelblutung und nicht nach dem 60. Lebensjahr. Dieses sogenannte „therapeutische Fenster“ (Window of Opportunity) beschreibt den Zeitraum, in dem die MHT die größten gesundheitlichen Vorteile bietet, insbesondere hinsichtlich der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und dem Schutz der Knochengesundheit6. Ein späterer Beginn kann das Nutzen-Risiko-Verhältnis verändern. Die Dauer der Anwendung sollte individuell abgestimmt werden, wobei regelmäßige ärztliche Kontrollen notwendig sind.

Wer sollte auf eine Hormontherapie verzichten?

Frauen mit folgenden Vorerkrankungen sollten keine oder nur unter strenger ärztlicher Aufsicht eine HRT erhalten5:

  • Hormonabhängige Krebserkrankungen
  • Schwere Lebererkrankungen
  • Thrombose- oder Schlaganfallrisiko (bei oraler Anwendung)

Alternativ können transdermale Anwendungen in Betracht gezogen werden, da sie das Thromboserisiko nicht erhöhen3.

Fazit: Eine individuelle Entscheidung

Die Hormontherapie ist heute differenzierter zu betrachten als noch vor einigen Jahrzehnten. Während frühere Empfehlungen oft pauschal waren, steht mittlerweile eine individuell angepasste Therapie im Vordergrund. Eine ausführliche ärztliche Beratung ist essenziell, um Nutzen und Risiken sorgfältig abzuwägen.

Besonders wichtig ist die weitere Forschung zur Langzeitwirkung von Hormonen auf Herz, Stoffwechsel und Bewegungsapparat. Zudem bleibt abzuwarten, welche neuen Erkenntnisse zu bioidentischen Hormonen und alternativen Applikationsformen gewonnen werden.

Letztlich bleibt die Entscheidung für oder gegen eine Hormontherapie eine ganz persönliche Wahl, die gut informiert und in Zusammenarbeit mit medizinischen Fachkräften getroffen werden sollte.

Hinweis: Dieser Beitrag dient der Information und ersetzt keine ärztliche Beratung. Bei Fragen zur Hormontherapie sollten Sie sich an eine Fachärztin oder einen Facharzt wenden, der Ihre individuelle gesundheitliche Situation berücksichtigt.

Quellen:

References

  1. Baumgartner S, Stute P. Menopausale Hormontherapie und Demenz. Gynäkologische Endokrinologie. 2022;20(2):149–153. De;de. https://​link.springer.com​/​article/​10.1007/​s10304-022-00445-7. doi:10.1007/s10304-022-00445-7.
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