Das Gehirn ist nicht geschlechtslos (Teil 2): Neurogesundheit stärken – Prävention beginnt jetzt

von Dr. Christine Lohr
Zwischen Hormonen, Neuroplastizität und Lebensstil: Was moderne Forschung über die Gehirngesundheit von Frauen in der Lebensmitte zeigt.
Gehirngesundheit ist kein Zufall. Besonders für Frauen verändern sich in der Lebensmitte viele physiologische Grundlagen, die langfristig Einfluss auf die kognitive Leistungsfähigkeit nehmen. Während die erste Podcastfolge von Bewegtes Leben die biologischen Hintergründe beleuchtete, geht es in diesem Beitrag um konkrete Wege zur Stärkung eines widerstandsfähigen, anpassungsfähigen Gehirns – über alle Lebensphasen hinweg.
Früherkennung: Risiken erkennen, bevor Symptome auftreten
Frauen sind häufiger von Alzheimer betroffen als Männer. Neben der höheren Lebenserwartung tragen Unterschiede im Hormonhaushalt, der Immunantwort und im Energiehaushalt des Gehirns dazu bei. Bildgebende Verfahren wie die Fluordesoxyglukose-Positronen-Emissions-Tomographie (FDG-PET) zeigen: Bereits in der Perimenopause sinkt bei vielen Frauen die Fähigkeit des Gehirns, Glukose effizient zu verwerten – insbesondere im Hippokampus und präfrontalen Kortex12.
Früherkennungstests wie der Dementia Detection Test (DemTect) können helfen, leichte kognitive Beeinträchtigungen frühzeitig zu identifizieren10. Auch genetische Risikofaktoren wie ApoE ε4 rücken zunehmend in den Fokus1. Trotz aller diagnostischen Fortschritte bleibt die therapeutische Handlungsfähigkeit bei bestehender Demenz eingeschränkt. Umso wichtiger ist es, frühzeitig zu verstehen, welche Faktoren das Gehirn schützen – und wie sich Gesundheit aktiv fördern lässt.
Die gute Nachricht: Auch wenn genetische Anlagen und biologische Veränderungen nicht vollständig beeinflussbar sind, bietet der eigene Lebensstil ein hohes Potenzial, zur Gehirngesundheit beizutragen. Prävention beginnt nicht erst im Alter, sondern deutlich früher.
Bewegung: Neuroplastizität aktiv unterstützen
Regelmäßige körperliche Aktivität, insbesondere Kraft- und Ausdauertraining, fördert die Ausschüttung von Wachstumsfaktoren wie dem Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF)3. Dieses Protein ist essenziell für die Bildung und Reifung von Nervenzellen, für Gedächtnisprozesse und die neuronale Plastizität8.
Insbesondere Frauen in der Lebensmitte profitieren von kombinierten Trainingsprogrammen, die sowohl Ausdauer- als auch Kraftreize setzen. Solche Programme verbessern nicht nur den Muskelstoffwechsel und die Insulinsensitivität, sondern reduzieren auch entzündliche Prozesse und wirken sich günstig auf kognitive Funktionen aus5,14.
Ernährung: Energie und Schutzstoffe für das Gehirn
Eine mediterran geprägte, proteinreiche und blutzuckerstabile Ernährung unterstützt zentrale Prozesse im Gehirn. Omega-3-Fettsäuren (v. a. DHA und EPA), Polyphenole, Ballaststoffe und fermentierte Lebensmittel fördern die kognitive Leistungsfähigkeit sowie die Gesundheit der Darm-Hirn-Achse6.
Ergänzend rücken bestimmte Nährstoffe verstärkt in den Fokus:
- Kreatin, das auch im Gehirn zur Energieversorgung beiträgt2,16.
- B-Vitamine, insbesondere B6, B9 und B12, die an der Homocysteinregulation beteiligt sind15.
- Magnesium L-Threonat, das die kognitive Funktion möglicherweise positiv beeinflusst7.
Zentral bleibt eine kontinuierliche, dem Bedarf entsprechende Energiezufuhr – besonders in Lebensphasen, in denen Kalorien unbewusst eingeschränkt werden. Ein dauerhaftes Energiedefizit kann die neuronale Regeneration beeinträchtigen und Entzündungsprozesse begünstigen.
Schlaf: Reinigung und Regeneration
Erholsamer Schlaf ist essenziell für die Konsolidierung von Gedächtnisinhalten, emotionale Verarbeitung und die „Reinigung“ des Gehirns durch das glymphatische System. Letzteres transportiert Stoffwechselprodukte wie Beta-Amyloid ab – ein Prozess, der insbesondere während der Tiefschlafphasen aktiv ist9.
Schlafstörungen sind in der Lebensmitte keine Seltenheit und verstärken das Risiko für stille Entzündungen und kognitive Beeinträchtigungen. Präventiv wirksam sind eine gute Schlafhygiene, Lichtreize am Tag, nächtliche Blutzuckerstabilität und stressregulierende Maßnahmen.
Stressregulation: Schutz vor chronischer Belastung
Akuter Stress aktiviert kurzfristig die Leistungsbereitschaft – wird Stress jedoch chronisch, wirkt sich das negativ auf Hirnstrukturen wie den Hippokampus aus und fördert Entzündungen13.
Besonders wirkungsvoll im Alltag:
- achtsamkeitsbasierte Verfahren
- Atemtechniken
- Bewegung in der Natur
- bewusst gesetzte Pausen und soziales Miteinander
Diese Maßnahmen stabilisieren das Stresssystem und unterstützen emotionale Resilienz – ein entscheidender Faktor für die langfristige kognitive Gesundheit11.
Soziale Einbindung: Geist und Gesundheit stärken
Soziale Isolation gilt als eigenständiger Risikofaktor für kognitiven Abbau4. Studien zeigen, dass ein aktives soziales Netzwerk kognitive Reserven fördert und emotionale Stabilität stärkt.
In der Lebensmitte verändern sich soziale Rollen oft – Kinder ziehen aus, berufliche Strukturen wandeln sich. Umso wichtiger ist es, Beziehungen bewusst zu pflegen, neue Kontakte zu knüpfen und Räume für Austausch zu schaffen.
Fazit: Prävention beginnt jetzt
Die Gesundheit des Gehirns ist formbar. Bewegung, Ernährung, Schlaf, Stressregulation und soziale Einbindung bilden ein kraftvolles Zusammenspiel. Keine Maßnahme wirkt isoliert – aber gemeinsam entfalten sie präventives Potenzial.
Gehirngesundheit lässt sich nicht auf später verschieben. Jede bewusste Entscheidung im Alltag – sei es ein Spaziergang, eine ausgewogene Mahlzeit oder ein gutes Gespräch – kann dazu beitragen, das Gehirn stark, klar und lebendig zu erhalten.
Quellen:
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